Mein erster Computer: ein C64 aus Papier

Avatar von Steffen Anton

Heute möchte ich euch wieder einmal eine kleine Geschichte aus meiner Vergangenheit erzählen. Wie viele von euch sicher wissen, bin ich in der ehemaligen DDR aufgewachsen, allerdings im sehr grenznahen Bereich. Die Öffnung der Grenze 1989 war für mich ein sehr einschneidendes Ereignis, an das ich auch heute noch immer wieder zurückdenke. Eine völlig neue, bunte Welt brach über mein zehnjähriges Ich herein und plötzlich schienen mir alle Möglichkeiten offen zu stehen.

Irgendwann an einem Samstag des Jahres 1990 nahm mich mein Vater mit zu Bekannten in ein nahe gelegenes Dorf in Niedersachsen. Während er dort etwas handwerkliches zu erledigen hatte, konnte ich mir mit dem Sohn der Familie, der ungefähr in meinem Alter war, die Zeit vertreiben.

Neben vielen coolen Spielsachen war er auch im Besitz eines C64, welcher mich natürlich am meisten interessierte. Dies war meine allererste Begegnung mit einem (Heim)-Computer, noch bevor ich überhaupt mit Videospielkonsolen in Berührung gekommen war. So etwas kannte ich bis dahin wenn überhaupt dann nur aus dem Fernsehen. Dementsprechend stand mir vor Staunen die ganze Zeit der Mund offen. Er zeigte mir eine Reihe von Spielen, unter anderem „Winter Games“ und Little Computer People.

Das Erlebnis hatte mich dermaßen nachhaltig beeindruckt, dass ich mir am Tag darauf morgens aus Papier einen eigenen „Computer“ mit Joystick bastelte, inklusive unterschiedlicher Bilder, die man durch den „Monitor“ durchziehen konnte. Auf diese Weise konnte ich die winterlichen Sportarten mehr oder weniger „nachspielen“, so weit ich diese noch in Erinnerung hatte. Das Ganze ist schwer vorzustellen und klingt aus heutiger Perspektive sicherlich einigermaßen seltsam. Aber damals war es für mich fast so, als hätte ich einen echten Computer.

Zum C64 hatte ich in der darauf folgenden Zeit nur noch wenige Berührungspunkte. Ein gutes Jahr nach meinem „Papiercomputer“ bekam ich mit dem SEGA Master System meine erste eigene Konsole. Und 1994 folgte dann ein 486er. Dennoch habe ich diese erste Begegnung mit einem Computer und dem Spiel „Winter Games“ nie vergessen.

Wir machen nun einen Zeitsprung ins das Jahr 2003, also noch lange vor Beginn der mittlerweile ausufernden Begeisterung für klassische Systeme. An einem Sonntagabend lief im Fernsehen der Film 23 – Nichts ist so wie es scheint, in dem es um einen Computerhacker in den 80ern geht. Dort waren natürlich auch haufenweise alte Rechner zu sehen. Und ich erinnerte mich an den Anfang der 1990er Jahre zurück, und meinen Papiercomputer. Am darauf folgenden Tag besorgte ich mir deshalb für, aus heutiger Sicht betrachtet, günstiges Geld einen C64 inklusive Floppy bei der damals noch recht jungen Plattform eBay.

Nachdem ich ein paarmal mit dem Rechner gespielt hatte, verlor ich jedoch die Lust darauf. Zudem hatte ich irgendwie das Gefühl, er würde in meiner Wohnung zu viel Platz wegnehmen. Daher verkaufte ich ihn alsbald wieder. Einzig das wunderbare Handbuch, welches eigentlich eine Anleitung für Basic ist, behielt ich.

Heute bereue ich natürlich den Verkauf. Und habe eine Vielzahl an alten Konsolen und Computern, die wesentlich mehr Platz wegnehmen. Vor einigen Jahren bekam ich zu Weihnachten dann den „The C64 Maxi“. Damit konnte ich erstmals nach langer Zeit wieder „Winter Games“ spielen. An einem Computer, der nicht aus Papier bestand.

Was sind Eure Erinnerungen an den Brotkasten? Schreibt es mir gern in die Kommentare!

Hinweis: der Text erschien in einer wesentlich kürzeren Fassung erstmals am 26.10.2021 auf Retrokram.

Alexander StrellenTobiAndré EymannWolfgangDirk Bockstegers

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8 Antworten zu „Mein erster Computer: ein C64 aus Papier“

  1. Avatar von Tobi

    Danke für deinen Beitrag und deine Erinnerungen, Steffen.
    Ich hatte zwar keinen C64, aber ich kann wirklich nachvollziehen, was du schreibst. Meine ersten Begegnungen waren bei Schulfreunden und ich saß staunend daneben. Wir hatten nicht viel Geld und so wurde aus dem Traum eines C64 erstmal ein gebrauchter CPC6128, den mein Vater fürs Büro nutzen wollte. Diese ersten Begegnungen mit dem damals neuen Medium waren für mich (ich muss so acht oder neun gewesen sein) einfach magisch.
    Heute würde ich das damals Erlebte so beschreiben, als wenn man dieses eine, wirklich fantastische Spiel beendet und sich so sehr wünscht, man könnte es noch einmal ganz neu erleben, nochmals ein erstes Mal spielen.
    Wird aber nicht passieren. So entwickelte sich das für mich so, dass ich mein späteres Weihnachtsgeschenk, einen Amiga 500, vielleicht 20 Jahre später aus ähnlichen Gründen wie du, verkaufte – nur um mich noch etwas später ebenfalls darüber zu ärgern. Ich hab irgendwann noch mal zwei Amigas mit Spielen und Kram erworben, aber es war einfach nicht mehr dasselbe. Ich hatte einfach keine Bindung zu den jetzt „fremden“ Sachen. Also etwas später wieder weg damit. Mit den Jahren habe ich für mich erfahren, dass ich die Zeit und meine Jugend nicht mit Dingen von damals konservieren kann und behalte mittlerweile lieber vieles im Herzen, statt zu sammeln. Aber so eine alte Kiste heute mal aus der Nähe zu betrachten, das hat natürlich schon was und spannt jedes Mal wieder eine Brücke zur Kindheit. Der Sound der Tasten, der Geruch, das Rattern des Laufwerks, die Klötzchengrafik.

    Steffen Anton
    1. Avatar von Steffen Anton

      Hallo Tobi,
      vielen Dank für Deine Gedanken zu meinem Text. Ich gebe Dir auch teilweise recht, man kann das Gefühl von damals niemals wieder komplett erzeugen. Aber dennoch bin ich froh, dass ich mittlerweile einige Schätze (wieder) besitze. Und mein SEGA Master System habe ich nie hergegeben und spiele auch heute noch gern damit.
      Gruß
      Steffen

      Tobi
  2. Avatar von Alexander Strellen

    Zu deinem Text fallen mir zwei Anmerkungen ein:

    Vor 1 oder 2 Jahren hatte mein Sohn mal mitbekommen wie ich auf der Switch am spielen war. Das Gerät war zu dem Zeitpunkt für ihn noch unerreichbar. Es musste also ein Ersatz für ihn gefunden werden. Seine Lösung war einfach. Am nächsten Tag hatte er sich eine funktionierende Spielekonsole aus Lego gebaut. Inklusive Modulschacht und beweglichem Spielgeschehen auf dem Bildschirm.

    Der Brotkasten hat in meiner Spieleecke einen festen Platz und wird regelmässig genutzt. Vor 2 Jahren hatte ich hier bei Videospielgeschichten was dazu geschrieben. Siehe unten. Mit neuem Netzteil sollte der auch noch ein paar Jahre halten. Im Moment bin ich noch auf der Suche nach einem günstigen, funktionierenden Joystick. Mit den vorhandenen bin ich nicht so zufrieden. Ausserdem wäre ein alter Röhren-TV noch eine coole Sache. Da sieht das Bild einfach besser aus als auf dem modernen Kram. Das braucht aber auch alles Stellfläche.

    https://www.videospielgeschichten.de/wie-ich-durch-einen-tweet-im-keller-erinnerungen-erweckt-habe/

    André Eymann
    1. Avatar von Steffen Anton

      Hallo Alexander,

      wow, ich bin beeindruckt. Zum einen von der Parallele zwischen mir und Deinem Sohn, was das Bauen eines „Computerersatzes“ betrifft.
      Zum anderen von Deiner spannenden Geschichte der Wiederentdeckung Deiner Kellerschätze. Zudem klingt die Idee des Computerclubs spannend, ich wünschte so etwas hätte es bei mir damals auch gegeben.
      Viel Spaß Dir und Deinem Sohn noch mit dem Brotkasten! 🙂
      Gruß
      Steffen

      André EymannAlexander Strellen
  3. Avatar von Willi

    Lang lang ist es her. Bei einem Schulfreund (Grundschule), sein Vater hatte einen C128, spielten wir auf der Kiste. Ich wollte auch einen haben, was damals einfach nicht drin war. Ein paar Jahre später, ein Kollege aus dem Tischtennisverein, bot einen C64 gebraucht zum Verkauf. Ich griff zu mit Datasette und reichlich 5,25 Disketten ohne ein passendes Laufwerk zu haben. Glaube ein paar Monate später kaufte ich ein 1571 Laufwerk, und schleppte mich zu Tode, bis ich es nach Hause transportierte :-). Das ganze müsste so zeitlich Mitte, Ende der 80er gewesen sein. Erinnere mich das ich für den C64 auch GEOS als Betriebssystem hatte. Stunden hab ich mich damit beschäftigt, insbesondere mit dem Zeichenprogramm. Aus Versehen löschte ich es auf dem Datenträger und heulte glaub ich Stunden darüber, da ich keine Kopie / Backup hatte. Ja so war das damals. Bis vor wenigen Jahren hatte ich noch den Karton vom 1571
    https://www.instagram.com/p/CbF7YMLtnsn/

    André EymannAlexander StrellenWolfgang
    1. Avatar von Steffen Anton

      Hallo Willi,

      danke für Deine schöne Geschichte. Du hast jetzt einen Follower mehr auf Instagram. 🙂

      Gruß

      Steffen

      André Eymann
  4. Avatar von Wolfgang

    Lieben Dank für deine Erinnerungen Steffen!

    Mit dem C64 verbinde ich auch sehr viel. Ich verdanke es genaugenommen meinem Onkel, der damals seinen C64 zu den Großeltern mitnahm. Das war der Funke für meine Videospieleleidenschaft, die bis heute ungebrochen ist. Winter Games, Summer Games, Frogger, Robin of the Wood, hach, so viele Perlen. Habe sogar Robin of the Wood unlängst wieder gespielt und war erstaunt, wie gut das heute noch ist. Mit welchen Kniffen man schon damals für so viel Spielspaß gesorgt hat. Die originale Brotkiste (bekam ich damals von ihm geschenkt) habe ich leider nicht mehr, allerdings noch den Nachfolger. Eine ganz tolle Zeit und bei mir eben auch Basis für so vieles.

    Steffen AntonAndré Eymann
    1. Avatar von Steffen Anton

      Hallo Wolfgang,

      das ist ja nett gewesen von Deinem Onkel, dass er Dir den Rechner geschenkt hat. Ja, der C64 ist eine ergiebige Quelle für Erinnerungen . 🙂

      Gruß

      Steffen

      André Eymann