Spielhallen-Fund am Strand in Polen

Avatar von Thilo Nemitz

In den Achtzigern und Neunzigern gab es in nahezu jeder Stadt magische Orte. Nein, ich meine nicht Kneipen mit Happy Hours, sondern solche, wo Gamer, wie ich, die zu Hause gerade mal eine 8-Bit-Konsole und/oder einen C64 stehen hatten, wahre Wunder aus Polygonen und leistungsstarken Prozessoren erleben konnten. Ich spreche natürlich von Spielhallen, oder „Arcades“ wie sie im englischen Sprachraum genannt wurden.

Das „Magische“ an den Arcades war, dass ihre Videospiele immer einen Schritt vorauswaren und unerreichbar schienen. Auch als wir im Laufe der Jahre von 8, über 16 und 32, zu 64-Bit-Konsolen oder vom C64, über Amiga 500, zu den ersten Spiele-PCs gewechselt sind, hatten die Arcade-Automaten noch einige Zeit in vielen Belangen die Nase vorne. Von der Grafik bis zu den Controls – Lenkräder, Force Feedback-Sitze oder gar Überschlag-Kabinen sind ja bis heute nicht in heimische Wohnzimmer eingezogen.

Hinzu kam die unverwechselbare Atmosphäre in den Spielhallen, mit ihrer dudelnden Soundkulisse und dem Wald aus wunderbar gestalteten Arcade Cabinets. Jedes einzelne davon war mit seinen aufgedruckten Grafiken, leuchtenden Buttons und dem guten alten Attract-Modus nicht nur ein Kunstwerk, sondern ein Tor in eine andere Welt.

Nie werde ich den Moment vergessen, als wir als Teenager über den berühmten Rocket Escalator in den „London Trocadero“ hochgefahren sind. Was mir in dieser Arcade in der Coventry Street von London an elektronischen Errungenschaften um die Sinne flimmerte, hat mich nachhaltig beeindruckt.

Die Faszination für Spielhallen wurde jedoch schon viel früher geweckt. Damals standen Arcade-Automaten ja nicht nur in Spielhallen, sondern häufig auch in Einkaufspassagen, Restaurants oder Kaufhäusern rum. Jede gute Kneipe hatte damals mindestens einen Flipper, manchmal auch begleitet von irgendeinem Videospiel.

Tja, und dann hielten leistungsstarke PCs und Next Generation-Spielkonsolen Einzug in die Haushalte: das Todesurteil der Arcades.

Doch das Spielhallen-Virus hat mich nie ganz losgelassen.

Die damit verbundene Nostalgie hat mich sogar „Ritter der Apokalypse„, den dritten Teil meiner Science Fantasy-Romanreihe, über Arcades und die Wunderwelten hinter den Monitoren schreiben lassen.

Und bis heute halte ich in jedem Urlaub Ausschau nach einzelnen verstaubten Spielautomaten.

Dementsprechend komplett vom Hocker gehauen war ich natürlich, als ich im letzten Urlaub eine ganze Spielhalle entdeckte!

Der Salon Gier erweckte meine Gier

Diesen Salon Gier (was auf Polnisch einfach „Spielsalon“ heißt) hätte ich fast übersehen, wenn meine halbpolnische Göttergattin mich nicht darauf aufmerksam gemacht hätte.

Es war purer Zufall.

Wir hatten uns Fahrräder ausgeliehen, um eine Fahrradtour von Usedom nach Polen zu machen. Das klingt jetzt heroischer als es ist, da von unserem Hotel aus die polnische Grenze mit dem Drahtesel in weniger als einer Stunde zu erreichen ist.

Ganz gemütlich die Küste entlang.

Bereits von Pierogi und einem feisten Humpen Bier fantasierend.

Und dann tauchte sie plötzlich an der Strandpromenade von Swinemünde (poln.: Świnoujście) auf: eine waschechte Spielhalle! Ein „Salon Gier“.

Der Eingang sah erstmal gar nicht sonderlich spektakulär aus. Doch man weiß, dass man einen nostalgischen Dachschaden hat, wenn schon kitschigste Spiele auf 0815-Jahrmarktniveau, wie das rechts im Bild erkennbare „Kickboxer“, den Puls in die Höhe schnellen lassen.

Einen Hundeblick später, hatte meine Frau mir den Segen erteilt mich dort mal näher umzusehen. Ich konnte nicht weiterradeln, ohne dieses Relikt auf alte Videospiele zu untersuchen.

Was ich fand, überraschte mich doch sehr.

Zunächst war ich umgeben von „mechanischen Unterhaltungsmöglichkeiten“, wie diesen Basketball-Maschinen. Die stehen ja heute noch manchmal in Freizeitparks oder auf Jahrmärkten rum. Die Dinger haben für mich aber auch immer zu Spielhallen dazu gehört. Genau wie Airhockey-Tische, Whack-A-Moles oder die guten alten Flipper.

Leider gab es keine Vintage-Videospiel-Automaten, die ich verträumt hätte streicheln und vielleicht sogar mit etwas Kleingeld füttern können. Dafür war ich aber sehr überrascht, dass diese unscheinbare „Strandspielhalle“ jede Menge „Youngtimer“ zu bieten hatte – Spielautomaten, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie dieser Tage noch produziert werden.

Wer sind die Abnehmer? Naja, das folgende etwas verschwommene Selfie (sorry vong Qualität her) zeigt recht adäquat meine Verwunderung ein top modernes Ballerspiel zu finden. Transformers Human Alliance von Sega ist 2013 erschienen. Leider gab es niemanden vor Ort, der es hätte mit mir zocken können.

Ebenfalls noch nicht uralt, offerierte sich mir der Sitz des Rennspiels Grid Autosport von 2010. Die Grafik konnte echt mit gängigen Rennspielen mithalten. Krass!

Subway Surfers von 2015 erweckte bei mir den Eindruck, als wäre es gerade frisch aus einer japanischen Pachinko-Halle geholt und hier aufgestellt worden. Definitiv auf jüngere Spieler zugeschnitten, erschien mir das Spielprinzip in pädagogischer Hinsicht jedoch als etwas fraglich…

Und schließlich konnte mich noch das beinahe brandneue „Ballerspiel für Kinder“, Zombie Outbreak Water Shooting von 2019, vom Hocker spritzen. Ja, ihr habt den Titel richtig gelesen. Elektronik und Wasser hatten sich in meiner Vorstellung von Arcade Games bisher immer eher ausgeschlossen, doch es gibt scheinbar nichts was es nicht gibt.

Und so erledigten jauchzende Kinder, eingehüllt von einem feinen Wassernebel, Zombies mit Wasserstrahlen, die sie über den Bildschirm lenkten. Am liebsten wäre ich zurückgeradelt, hätte meinen Sohn geholt und davorgesetzt. Also, auf den Sitz neben mich. Und dann hätte es geheißen: Vater und Sohn mit Wasserpistolen in der Zombie-Apokalypse!

Tja, was bleibt als Fazit zu sagen?

Ich wusste gar nicht, dass in jüngerer Zeit noch so viele Spielautomaten hergestellt wurden. Kennt sich da jemand aus? Wer sind typischer Weise Abnehmer für solche Maschinen? Privatleute sicher nicht. Wenn ich mich durch SEGAs Transformers Human Alliance ballern wollte, müsste ich ein paar tauend Dollar auf den Tisch legen. Dafür kann man viele Steam Sales leerkaufen…

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FerdiTobiAndré EymannNele Abels

Avatar von Thilo Nemitz

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9 Antworten zu „Spielhallen-Fund am Strand in Polen“

  1. Avatar von Ferdi

    Toller Text, hat Spaß gemacht den zu lesen. Inhaltlich kann ich das zu 100% nachvollziehen.

    André Eymann
  2. Avatar von André Eymann

    Zunächst ziehe ich meinen virtuellen Hut vor Deinem wunderbar lockeren und dennoch faktenreichen Schreibstil. Es macht wirklich Freude Deinen Beitrag zu lesen!

    Inhaltlich sollten wir beide uns bei einem Bierchen wunderbar verstehen können, denn ich teile vieler Deiner Empfindungen. Deinen Satz: „Und bis heute halte ich in jedem Urlaub Ausschau nach einzelnen verstaubten Spielautomaten.“ unterschreibe ich sofort. In jedem Urlaub halte ich die Augen auf; sofern sich das Potential bietet.

    Hier ein paar Beweise, die ich bereits in Textbeiträge umgewandelt habe:
    California Dreamin’ – Neptune’s Kingdom Arcade in Santa Cruz
    Helden eines Sommers: Videospielautomaten damals
    Helden eines Sommers 2: Videospielautomaten heute

    Ergänzend muß ich sagen, dass im Imbiss meiner Eltern seinerzeit auch ein Arcade-Automat stand, der mit natürlich sofort in seinen Bann zog. Galaga, Moon Patrol, Gyruss… ich war sofort infiziert.

    Ich hoffe wir sehen uns im September auf der FAMSCON 2023! Der Ort, das Thema und das Bier sollten passen 🙂

    FerdiThilo Nemitz
    1. Avatar von Thilo Nemitz

      Hehe, ja, da sind wir scheinbar aus dem selben Cabinet-Holz geschnitzt 😉

      Danke für das Verlinken der passenden Artikel. Den über die Arcade in Santa Cruz kenne ich auch schon.

      Ja, auf die Famscon hätte ich mega Bock, kann aber leider echt so weit im vorraus noch nicht 100%ig sicher sagen, ob ich da kann. Dämliches „Erwachsenenleben“… 😉 Aber ich nehme es mir mal vor!

      Danke für Deinen Kommentar und liebe Grüße!

      André Eymann
      1. Avatar von André Eymann

        Aber ich nehme es mir mal vor!

        Ich denke es würde Dir sehr gefallen. Wenn’s passt wäre es toll.

        Danke für Deine Reaktion!

  3. Avatar von Alex
    Alex

    Jetzt bin ich aber neidisch. Vor vielen Jahren (das dürfte irgendwann zwischen 2006-2007 gewesen sein) hatte ich mit Kumpels einen Sommerurlaub auf Usedom verbracht. Natürlich haben wir auch einen Abstecher über die Grenze nach Polen gemacht. Dabei hatten wir natürlich nur den berühmten „Polenmarkt“ im Kopf. Dort konnte man sich günstig mit DVDs, Videospielen, Markenartikel eindecken (Achtung: Herkunft und Legalität fragwürdig). Hätten wir gewusst das es dort irgendwo auch eine Arcade gibt … wir hätten auch unseren Spaß gehabt.
    Gut, vielleicht gab es die damals auch noch gar nicht.
    In Japan gibt es doch noch jede Menge Arcades. Dort findet man doch tatsächlich auch noch Neuentwicklungen. Ist es nicht in Deutschland so das man auch in einem Center-Parc immer eine Arcade findet? Ich glaube ich hab sowas mal gesehen. Da wären dann ja Abnehmer für Neuentwicklungen.

    André Eymann
    1. Avatar von Thilo Nemitz

      Japan ist von mir aus leider nicht um die Ecke… 😉

      Aber danke für den Tipp mit den Center Parcs! das wußte ich nicht. Hab gleich mal ein paar Videos dazu auf YT gefunden. 🙂

      André Eymann
  4. Avatar von Nele Abels

    Danke für den schönen Artikel – da fühle ich mich ein wenig an die englischen Arcadehallen zurückversetzt, die ich in den 80ern besucht habe, vor allem deren Geräuschkulissen und das allgegenwärtige Geblinke und Geleuchte!

    An die deutschen Spielhallen (-höllen?) meiner Kindheit habe ich leider etwas andere Erinnerungen: verrauchte, finstere Höhlen oder verdreckte Bahnhofslokale. Klebriges Linoleum oder Teppich mit undefinierbaren Spritzern, bei denen man sich lieber nicht fragte, was für Substanzen das wohl waren. Zerschundene Automaten mit Brandlöchern von abgelegten Zigaretten, oft genug angebrochenes Glas, wenn einer der Spieler wieder mal seine Frustration nicht im Griff hatte. Ach, die Spieler. Dubiose Gestalten in Jeanswesten, Ballonseidehosen und Vokuhilaoliba, die sich mit Bierfahne über einen beugten und einem beim „Galaxian“-Spiel störten. (Bums, da geht das letzte Schiff!)

    Und mittendrin ich dickliches Kind mit Brille vom Dorf…😆

    FerdiThilo NemitzAndré Eymann
    1. Avatar von André Eymann

      Weil Du englische Arcadehallen erwähnst Nele, habe ich am Ende des Beitrags noch einen Text von Winnie Forster verlinkt. Der könnte Dir auch gefallen!

      @Thilo: ich schreibe Dir noch einen ausführlichen Kommentar zu Deiner Entdeckung!

      Thilo Nemitz
    2. Avatar von Thilo Nemitz

      HAHAHAHAHA! Danke für diesen geilen Kommentar, Nele. Musste sehr lachen und konnte das gelallte „Bums, da geht das letzte Schiff!“ fast hören.

      Aber du hast vollkommen recht: in De waren Spielhallen häufig eher SpielHÖLLEN, definitiv. (Wurden die deshalb so genannt?) Und trotzdem romantisiere ich jetzt sogar undefinierbare Spritzer, dubiose Gestalten und störende Bierfahnen. Ich habe auch in solchen Bahnhofskaschemmen rumgestanden und all die fiese Finsterniss über die Videospielwelten einfach vergessen, halbswegs erfolgreich ausgeblendet. Vielleicht profitiere ich aber auch davon männlich zu sein. Wenn ich mir vorstelle, wie so ein Alki einem Mädchen beim Zocken zuschaut, wird mir auch irgendwie anders…

      André EymannNele Abels