Eine kleine Geschichte der Videogames. Von Tetris bis Cyberpunk 2077

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Meine persönliche Geschichte der Videogames begann mit Lemmings und Giana Sisters, mit Tetris, Doom 2 und Crime Fighter. Eine Folge war unter anderem, dass ich Buchautor geworden bin. 2021 erschien mein Buch „Eine kleine Geschichte der Videogames – Von Tetris bis Cyberpunk 2077“.

Als der Verlag und ich mich auf Titel und Untertitel meines Buches einigten, hatten wir das Lesepublikum im Grunde schon belogen. Denn natürlich beginnt die Geschichte der Videospiele nicht 1986 – im Jahr von Tetris. Sie beginnt viel eher. Je nachdem, wie Videogames definiert sind, war das zwischen 1947 und 1961.

Aber Tetris war fast schon ein Muss für die Titelseite. Zum einen war der globale Spielehit wahrscheinlich der Durchbruch von Computerspielen in den Mainstream, zum anderen war es für viele der Beginn der persönlichen Videospielgeschichte. Wer heute Ende 30 oder älter ist, kennt Tetris aus der eigenen Jugend.

Denn genau das macht erzählte Geschichte aus: Unsere eigenen Erfahrungen. Tennis for Two ist älter als Pong, aber der Name Pong weckt Erinnerungen. Bei der Erwähnung von Space Invaders hören wir den Soundtrack im Kopf, während das ältere Space War! wahrscheinlich nur ein Schulterzucken hervorruft. Selbst der neueste Shooter verblasst angesichts der Erinnerung an die Partie Counter-Strike auf der ersten LAN-Party.

Die Geschichte der Videogames ist für viele erlebte Geschichte voller Erinnerungen. Darum geht es in diesem Blog und darum geht es auch in meinem Buch. Deswegen präsentiere ich hier einen kleinen Auszug. Kommt mit auf eine Lesereise in das Jahr, in dem Videogames den Anlauf nahmen für den Sprung von einer technischen Spielerei zu … mehr.

Auszug aus Kapitel I von »Eine kleine Geschichte der Videogames. Von Tetris bis Cyberpunk 2077«

Die 1960er: Die Welt ist fast bereit

Krieg im Weltall!

Es waren immer wieder Elektronengehirne an Universitäten, die zu Spielgeräten gemacht wurden. So erging es auch dem PDP-1, einem 120 000 Dollar teurem Großrechner, der 1961 einem Rudel Nerds am Massachusetts Institute of Technolgy (MIT) in die Hände fiel. Okay, »in die Hände fiel« ist etwas übertrieben. Und »Rudel Nerds« ist vielleicht nicht ganz fair. Der Tech Model Railroad Club am MIT war ein Studentenklub von Modelleisenbahnfans. Die Mitglieder liebten es, komplexe kleine Bahnnetze zu konstruieren. Sie liebten es auch, die teuren Computer ihrer Uni für alles zu benutzen, was ihnen Spaß machte und ihre Dozenten zur Weißglut trieb.

Als sie davon hörten, dass ein Exemplar des Computers PDP-1 (Programmed Data Processor 1) ans MIT kommen sollte, bildete sich spontan ein Komitee aus ihrer Mitte. Martin Graetz, Wayne Witaenem und Steve Russell überlegten sich, was sie mit dem PDP-1 alles anstellen könnten. Sie entschieden sich schließlich für ein Spiel. Witaenem schlug etwas mit Raumschiffen vor, die über den Bildschirm bewegt werden sollten. Denn natürlich waren alle Klubmitglieder auch Science- Fiction-Fans. Russell übernahm die Programmierung. Oder vielmehr versprach er, sich um die Programmierung zu kümmern.

Hacker-Culture
Der Tech Model Railroad Club war einer der Ursprünge der Hacker-Gegenkultur, die später in den USA entstehen sollte. Ein hack war in ihren Kreisen ein Unterfangen oder Projekt, das aus reinem Spaß an der Freude unternommen oder angegangen wurde. Das Wort bezeichnete schon vorher einen gelungenen Streich am MIT-Campus. Die Hacker des Railroad Clubs waren die Studierenden, die am eifrigsten an der Stromversorgung und den Lichtern der Modelleisenbahnanlage werkelten.

Lange Zeit geschah nichts, was für die Mitglieder des Klubs nicht hinnehmbar war. ›Slug‹ Russell, erinnerte sich in einer Doku des Computer History Museum, dass er acht Wochen deswegen zugetextet worden und dies ihm so peinlich gewesen sei, dass er dann doch noch den Code geschrieben hatte. Bald war Spacewar! fertig. Oder zumindest die erste Version. Das Prinzip: Zwei Leute spielen gegeneinander. Jede Partei übernimmt die Steuerung eines Raumschiffs. Eines heißt needle (Nadel), das andere wedge (Keil). Jedes Schiff verfugt über ein begrenztes Waffenarsenal und Treibstoffvorrate. Das Ziel ist es, das gegnerische Schiff zu zerstören.

Natürlich kamen die Nerds aus dem Eisenbahnklub gleich mit eigenen Ideen an, um das Spiel zu verbessern. So hatten die Raumschiffe keine Massenträgheit, was ja sogar logisch war. Im Weltall waren sie natürlich schwerelos, einmal beschleunigt, hielt sie nichts auf. Das machte das Spielen von Spacewar! aber unnötig kompliziert. Also schrieb das Klubmitglied Dan Edwards den Code für einen Stern in der Mitte des Spielfelds. Dieser Stern verfügte über eine eigene Schwerkraft, zog also Raumschiffe an, die bei einer Kollision zerschellten. Wer geschickt war, konnte das Schwerkraftfeld nutzen, um dem eigenen Schiff Schwung zu verleihen. Ein anderer Kommilitone kam auf den Gedanken, eine Sternenkarte in den Hintergrund des Bildschirms zu legen. So konnten Spielende besser die Geschwindigkeit der Raumschiffe einschätzen.

Ein weiteres Klubmitglied baute einen Controller, weil die Schalter des PDP-1 ungünstig angebracht waren. Schließlich gab es noch den Hyperspace-Knopf. Wenn man ihn drückte, verschwand das eigene Raumschiff und tauchte an einer zufälligen Stelle des Bildschirms wieder auf. Die Klubmitglieder gaben Kopien des Spiels an weitere Labore mit einem PDP-1 weiter. In anderen Forschungseinrichtungen arbeiteten Nerds an Versionen, die auf anderen Computern liefen. Und schließlich nutzte der PDP-Hersteller Digital Equipment Corporation Spacewar!, um seine Kunden von den Fähigkeiten des PDP-1 zu überzeugen.

Grundlagen des interstellaren Kriegs

Spacewar! hat viele Elemente moderner Videogames begründet:
• Die Avatare sehen unterschiedlich aus, können aber das Gleiche!
Es gibt absolut keinen Unterschied zwischen needle und wedge – außer ihrem Design. Beide Schiffe sind gleich schnell, feuern die gleichen Torpedos …
• Das geht besser!
Seit dem ersten Tag wurde Spacewar! modifiziert: Gravitation und Sternenkarte waren die ersten Mods, später kamen auch Tarnvorrichtungen und Minen dazu.
• Treffer, versenkt!
Ein Treffer, und das Schiff explodiert. Super Mario kennt das.
• Der Raum ist gekrümmt!
Fliegt man links aus dem Schirm, kommt man rechts wieder rein. Pac-Man kennt das.
• Player versus Player!
Spacewar! funktioniert nur zu zweit.
• Kein Plot ist auch kein Problem!
Spacewar! hat keine Story. Spielen lässt es sich umso besser.


Fabian W. W. Mauruschat
Eine kleine Geschichte der Videogames

Softcover, 208 Seiten
Erschienen: September 2021
Gewicht: 202 g
ISBN: 978-3-7423-1937-1

LordJohn75MichaelDennis DeusterTobi

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7 Antworten zu „Eine kleine Geschichte der Videogames. Von Tetris bis Cyberpunk 2077“

  1. Avatar von Florian Auer

    Ach wie toll, danke für die Einleitung! Immer wieder interessant welche Leute mit Erfahrung sich an VSG beteiligen 🙂

    Fabian Mauruschat
  2. Avatar von Fabian Mauruschat

    Das Buch gibt es natürlich auch als E-Book bei den üblichen Anbietern.

  3. Avatar von Tobi

    Lieber Fabian, danke für deine kleine Reise. Die Hintergründe und der Auszug aus deinem Buch machen wirklich Lust auf mehr! Wie du schon schreibst, ist die eigene Wahrnehmung der Videospielwelt auch immer eine sehr persönliche. Es fließen immer die eigenen Erfahrungen und Erinnerungen, die man mit diesem oder jenem Spiel verbindet, mit in seine Erinnerungen an die eigene Videospielgeschichte ein. Und während ich diese Zeilen schreibe, denke ich an meine eigene Kindheit und den Beginn meiner Spieleleidenschaft. Das muss wohl so Mitte der 80er mit Bruce Lee, Hexenküche und Harrier Attack in Grün auf Papa’s CPC gewesen sein. Lieben Dank für deinen Beitrag!

    MichaelFabian Mauruschat
  4. Avatar von Dennis Deuster

    Offtopic: Toll, dass Du auch an Chrono Trigger dran bist. Hast Du es denn schon mal geschafft und bist jetzt am „Rerun“?

    Fabian Mauruschat
    1. Avatar von Fabian Mauruschat

      Das ist tatsächlich mein erster Durchlauf und ich bin begeistert!

  5. Avatar von osz 🇺🇦

    @vsg Ich werde leider passen, obwohl das PDF mit der Leseprobe wirklich sehr vielversprechend ist. Ich kaufe keine gedruckten Bücher mehr. Spätestens beim nächsten Umzug wird es wieder ein Problem und platztechnisch sowieso. Oder habe ich die Option eines digitalen Kaufs übersehen?

  6. Avatar von KRISÚ

    Was für eine schöne Zeit.
    Danke für den Artikel!

    MichaelFabian Mauruschat