Laras Teddybär

Avatar von Daniel

Kennt ihr diese Situationen in Videospielen, die uns so verzaubern, dass wir sie nie mehr vergessen wollen? Was haben solche Spiele an sich, dass sie es schaffen können, einen festen Platz in unserem Herzen zu ergattern?
Wie geht das?

Es ist die Summe von Kleinigkeiten und besonderen Details.

Ohne sie verliert ein Spiel nämlich seine Seele, hat keine Tiefe und ist lediglich wie eine Kette ohne Perlen. Ohne sie würde eine ideenlose Füllmasse übrig bleiben, mit einer Rahmenhandlung drumherum, die allenfalls für den Massenkonsum produziert wurde. “Kleinigkeiten” aber versüßen uns den Tag. Sie können das Zünglein an der Waage sein, wenn es darum geht, ein mitreißendes Erlebnis nicht zu versalzen. Aber dazu gleich mehr.

Ich lade euch ein, mit mir auf eine Reise zu gehen. Eine Reise, die direkt zu einem persönlichen Spielerlebnis führen wird, das vielleicht für den einen oder anderen auf den ersten Blick unbedeutend erscheinen mag, aber mir persönlich sehr ans Herz gewachsen ist, da es eine ganz besondere Begegnung war. Es ist eine dieser Kleinigkeiten, die mich verzaubern konnten.

Von all dem möchte ich euch nun erzählen.

Alles begann mit einem neuen Abenteuer, der berühmten Archäologin Lara Croft: Nicht etwa in einer uralten Ruine, oder unter einer Pyramide inmitten der Wüste, sondern direkt bei sich Zuhause …

Ein neues Abenteuer beginnt

2016 erschien zu “Rise of the Tomb Raider” ein DLC mit dem Titel: “Blutsbande”. Von nun an war es endlich wieder möglich, das Anwesen von Lara zu besuchen. Direkt zu Beginn startet eine kurze Filmsequenz. Wir sehen darin Lara, wie sie mitten in der Nacht im alten Arbeitszimmer ihres verstorbenen Vaters steht. Sein Name war Lord Richard Croft.

Ganz bestürzt liest sie einen Brief, in dem ein maximal unsympathischer Nachlassverwalter in förmlicher Entschiedenheit dazu auffordert, das Anwesen innerhalb von nur einer Woche zu verlassen. Um das zu vermeiden, muss Lara unbedingt das Testament ihres Vaters finden, damit sie ihr Zuhause nicht verliert. Direkt nach dem Ende dieser Filmsequenz können wir nun selbst Lara spielen, um mit ihr die verwinkelten Korridore zu betreten, einen geheimen Weg in die große Bibliothek zu finden und auch die vielen weiteren Zimmer nach und nach zu erkunden.

Einige Räume bleiben dabei von Beginn an unzugänglich und andere sind wiederrum nur sehr schwer zu erreichen. Doch obwohl von Anfang an fest steht, dass es unsere Aufgabe ist dieses eine Testament zu finden, erleben wir während der Suche viele Augenblicke, in denen wir vor allem Licht in die geheimnisumwitterte Vergangenheit von Familie Croft werfen können, denn das Gebäude ist riesig und überall warten einzelne Artefakte darauf gefunden zu werden.

Es handelt sich dabei um vergessene Briefe und Audiotagebücher, merkwürdige Skulpturen, vertraute Fotografien, Gemälde und andere Sonderbarkeiten, mit deren Hilfe sich Lara an ihre Kindheit zurück erinnern kann. Sie erzählt uns bei jedem Fund, was damals geschehen ist und wie sie heute darüber denkt. Wir lernen die Person hinter der harten Action-Heldin näher kennen und auch die vielen Menschen, die ihr besonders wichtig sind.

Einen dieser Funde werde ich aber niemals vergessen. Es war diese eine unscheinbare Begegnung …

Der verborgene Sarkophag

Wenn ich ganz für mich alleine in ein Videospiel eintauche, wie in diesem Fall, bekomme ich es sehr schnell mit der Angst zu tun, sobald es gruselig und finster wird. Deshalb war es für mich wirklich eine kleine Überwindung, die unteren Etagen des Anwesens zu untersuchen. Zudem spielt der DLC auch noch nachts! Während eines Gewitters!

Doch eines ist in jedem Videospiel absolut sicher: Die wertvollsten Geheimnisse verstecken sich immer in den dunkelsten Ecken und außerdem siegt am Ende immer die Neugierde.

Also ab in die Finsternis.

Am Ende eines Korridors befand sich an einer Seite der Zugang zu einem verborgenen Treppenhaus, das direkt hinab in den Weinkeller führte. Dort lauerten ein wenig versteckt, hinter einem rostigen Eisentor, die Dienstbotengänge – ein Labyrinth aus Ziegelsteinwänden und Wasserrohren an der Decke. Hier war die dunkelste Stelle im gesamten Anwesen.

Als Kind nannte Lara diesen Ort: “Den Keller der Verzweiflung“.

Hier unten fand ihre allererste Expedition statt. Sie wollte auf diesen Wegen eine Geheimtür erreichen, die direkt zur “Bibliothek des Wissens” führt. Ihr Vater dachte sich diese „Geburtstagsüberraschungsexpedition“ zusammen mit Winston aus, dem berühmten Buttler, weil sich die Kleine damals schon in Ägypten verliebt hatte, in all die Legenden und Mythen. Die Beiden stellten also kleine Fallen und Rätsel auf. Sie erzählten ihr, dass diese von den mächtigen “Hütern des Wissens” erdacht wurden, um die wertvollen Geheimnisse eisern zu beschützen, sodass wirklich niemand den versteckten Zugang zur Bibliothek finden kann – außer diejenigen natürlich, die ihre Ängste überwinden, die schwierigen Aufgaben meistern und sich daher als würdig erweisen.

Lara ist heute eine erwachsene Frau und von damals ist kaum noch etwas übrig. Vorsichtig betrat ich mit ihr also dieses Kellergewölbe. Es war stockdunkel hier unten. Der Zahn der Zeit hatte diese Mauern völlig ramponiert und durch die vielen kaputten Leitungen und Rohre stand das Wasser bis zu den Knien. Ich stellte mir vor, wie nun die Schuhe und Socken völlig nass werden mussten.

Nix wie weg von dort!

Der Keller ist zwar ein verzwickter Irrgarten, doch das ist der einzige Weg, um die offiziellen Türen zur Bibliothek schließlich von innen her öffnen zu können, denn von außen sind sie alle fest verschlossen und die Schlüssel sind dahinter irgendwo sicher versteckt.

Doch inmitten der Dunkelheit fand ich diesen einen Schatz. Ich muss euch unbedingt davon erzählen, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte eigentlich nur so schnell wie möglich zum Ausgang gelangen, weg aus dieser Finsternis und schnell zu einem warmen Kamin, aber dann stieß ich in einer der hintersten Ecken auf eine verborgene “Grabstätte”. Wer hätte das erwartet: Wie auf einem heiligen Podest ruhte dort ein Mini-Sarkophag auf einem Pappkarton. Völlig unscheinbar. Lara sammelte ihn natürlich gleich ein. Sie ist ja nicht umsonst die berühmteste Archäologin der Welt. Ich traute meinen Augen nicht, als ich sah, wer in diesem Sarkophag beigesetzt wurde:

Ein kleiner Teddy.

Das fand ich so süß! Für mich persönlich war es eine der Kleinigkeiten und Details, die ich nie vergessen werde, auch wenn es nur ein Augenblick gewesen ist, der zudem gar nicht so imposant inszeniert wurde.

Diese flüchtigen Momente sind es aber, die ich an den alten und umso mehr noch an den neuen Tomb-Raider Teilen so gern habe. Doch ich bin ehrlich: So etwas müsste viel öfter vorkommen. Es sind doch diese kleinen Dinge, in denen die Geschichten größer werden, als es die Hauptstory alleine je leisten könnte. Solche Situationen, wie in diesen “Teddy-Moment” (ich nenne ihn jetzt immer so ^^) zeigen, dass der Kosmos einer Hauptgeschichte darüber hinaus noch von den EntwicklerInnen durch liebevolle “Mini-Unterkapitel” erweitert wurde, die wir in den kleinen und großen Details entdecken dürfen. Dadurch können die jeweiligen Objekte in der Spielwelt so viel mehr sein, als nur Deko, die ohne Kontext bloß herumsteht.

Wenn ich heute die Augen schließe, dann stelle ich mir vor, wie die kleine Lara als Kind diesen Teddy ganz bestimmt lieb gewonnen hat. Vielleicht ist er ein Geschenk von ihrem Vater gewesen, der ihr durch diese “Expedition” eine besondere Freude machen wollte. Vielleicht war er aber auch ein Andenken an ihre Mutter, Lady Amelia Croft, die leider irgendwo in den Bergwelten des Himalaya bei einem Flugzeugabsturz auf tragische Weise ums Leben kam, sodass sich ihre Familie noch nicht einmal bei ihr verabschieden konnte.

Ich liebe es, mich von all diesen Gedanken in den Bann ziehen zu lassen und so die Geschichten in meinem Kopf weiter zu spinnen. Doch das war erst der Anfang. Wenn ich an diesen Moment zurückdenke, dann lässt sich daraus sehr viel lernen. So ist es auch bei diesem “Teddy-Moment”. In mir drin entstand mit der Zeit eine Frage, die so groß wurde, dass ich sie nicht länger ignorieren konnte: Der innere Sherlock Holmes musste eingeschaltet werden, denn ich wollte wissen, wie andere diesen “Teddy-Moment” eigentlich erlebt haben, denn wir spielen alle unterschiedlich und nehmen dieselben Begebenheiten bestimmt jeweils ganz anders wahr.

Andere Spielweisen – andere Erinnerungen

Aus Interesse habe ich mir also einige Let’s Plays auf YouTube angesehen. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Anderen das Anwesen erkundet haben. Die allermeisten waren pfeilschnell unterwegs: Sie liefen zur Treppe, dann direkt in den Keller und schwups waren sie beim Teddy, den sie manchmal gar nicht näher betrachtet haben.

Im Grunde ist es möglich, an nur einem Tag die ganze Geschichte vollständig abzuschließen und das Testament zu finden – da war ich erstmal baff. Ich persönlich habe mich wirklich bewusst langsam durch die Korridore bewegt, beinahe im Schneckentempo. Also echt langsam. Im Spiel ist Lara jedoch im Kontrast dazu grundsätzlich immer joggen. Das ist obendrein in vielen anderen Spielen der Fall und ganz normal. Wenn ich aber eine Szene besonders interessant finde, dann drücke ich absichtlich die Tasten, mit denen die Spielfigur langsamer geht. So habe ich es auch bei Lara getan.

Meine Phantasie erwachte zum Leben. Ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, jetzt wirklich an diesem Ort zu sein, zu dieser Uhrzeit, während draußen der Regen an die Fensterscheiben trommelt. Ich wollte mich so fortbewegen, wie ich es auch im echten Leben getan hätte. Spätestens als dann in diesem verborgenen Treppenhaus der Weg hinunter in den Keller führte, gab es kein Licht mehr. Deshalb schaltete Lara schnurstracks ihre Taschenlampe ein, die sie an der Schulter trug. Erst dadurch, dass ich mit ihr bewusst ganz langsam und vorsichtig hinabgestiegen bin, wuchs in mir die Angst so richtig auf. Außerdem spielte ich allein! Es entstand plötzlich diese Beklemmtheit, die wir spüren, wenn wir als Kinder nachts wach werden und durch den Flur huschen. Hinter jeder Ecke könnte etwas lauern. Besonders hinter uns und im Schatten!

Im Spiel schien zum Glück an einigen Stellen das Licht und ein Feuer brannte im Kamin, aber dann unten im Kellerlabyrinth war die Atmosphäre eine ganz andere. Jedes Mal, wenn es donnerte und blitzte, purzelte mein Herz in die Hose. Es dauerte nicht lang, da war Mrs. Croft für mich keine Spielfigur mehr, die ich aus meinem sicheren Stuhl aus steuerte, sondern sie war ich, und ich war sie. Das klingt sehr seltsam, ich weiß, aber so war es eben. Spätestens jetzt ist es mir allerdings nicht mehr egal gewesen, ob sie sich verletzt oder sogar ein Monster aus der Dunkelheit heraus mit den Augen zwinkert.

Die Begegnung mit dem “Teddy-Moment” wäre mit Sicherheit ein anderes Erlebnis gewesen, wenn ich den gesamten Weg bis dahin in nur wenigen Sekunden hinter mich gebracht hätte. Für dieses DLC benötigte ich deshalb mehr als einen Tag. Es waren bestimmt 2, oder 3 Tage.

Das Spieltempo ist jedoch eine sehr individuelle Angelegenheit: Alle haben ihre eigene Spielweise und sind frei so zu spielen, wie es sich für sie richtig anfühlt. Hier gibt es kein richtig oder falsch. Ich persönlich muss es hin und wieder langsamer angehen, um wirklich im Spiel anzukommen. Es ist wie in einem Wald: Wenn du nicht gerade sportlich unterwegs bist, sondern dann und wann langsam gehst, siehst du plötzlich all diese Details, die sonst unsichtbar wären. Damit es sich lohnt, braucht es anregende Objekte in der Welt – Kleinigkeiten und Details, die gefunden und betrachtet werden können, die voller Atmosphäre und Geschichte sind und schließlich unser Herz berühren und auch Reaktionen bei der Spielfigur auslösen können.

Eine tote, seelenlose Spielwelt lädt im Gegensatz dazu nicht zum Verweilen ein – es gäbe gar keinen Grund dafür. In einer Location, die mir nichts zu sagen hat, denke ich nur an eines: Start und Ziel – der Weg dazwischen ist in diesem Zusammenhang irrelevant, da er nichts zur Geschichte beizutragen hat und meistens sogar selbst der Spielfigur völlig egal ist.

Das gilt freilich nicht für alle Spiele: Shooter zum Beispiel leben oft von rasanten Bewegungsabläufen und auch Elden Ring kann bei einem sehr schnellen Spielstil eine ganz andere Herausforderung bieten, ohne dass diese dann ein schlechteres Erlebnis wäre. Es kommt tatsächlich von Spiel zu Spiel darauf an. Aber manchmal braucht es einfach seine Zeit, um wirklich mit allen Sinnen zu versinken und die fremden Welten auf sich wirken zu lassen. Zumindest geht es mir immer wieder so.

Eine mitreißende Lore muss dafür aber mit der Spielwelt dicht verwoben sein. Erst dann nehmen wir uns Zeit für die Orte und Dungeons. Zeit ist also in diesem Zusammenhang wirklich entscheidend. Denn im Grunde ist es so: Wie das Leben auf der Erde nicht ohne Wasser existieren kann, so vertrocknet ein Abenteuer, wenn die Geschichte ausschließlich kurz und knapp an den Checkpoints abgehandelt wird. Dann vergessen wir meistens sehr schnell, worum es eigentlich ging.

Genau diese Überlegungen führen direkt zu einem besonderen Stolperstein bei der Entwicklung von Videospielen, der wegen seiner Einfachheit leider sehr oft vergessen wird: Meiner Meinung nach braucht jede gute Erzählung natürlich auch ein neugieriges Publikum, dem der Ausgang der Geschichte nicht völlig egal ist und das zuhören möchte. Ohne Interesse ist niemand bereit, sich Zeit zu nehmen.

Wie Neugierde aber entzündet werden kann, ist und bleibt eine der größten Herausforderungen, vor denen SpieleentwicklerInnen stehen, denn ein und dasselbe Spiel kann, wie wir weiter oben gesehen haben, auf kunterbunt verschiedene Weisen gespielt werden: Manche sprinten wie ein Lichtblitz durch die Spielwelt, andere gehen so langsam wie eine Schnecke, wieder andere spielen vielleicht einmal im Monat, andere jeden Tag, manche gehen zuerst nach links, wieder andere laufen zuerst rückwärts, um genau das Gegenteil von dem zu tun, was das Spiel vorgibt (was übrigens besonders viel Spaß macht – vielleicht könnte das ein Schlüssel zu spannenderen Spielen sein 😉 und schließlich sollte auch die Barrierefreiheit nicht vergessen werden, um allen Menschen einen Zugang zu schaffen. So viele Möglichkeiten! Dem sollten sich die Studios bewusst sein.

Bevor sich jemand also mit den Objekten in der Spielwelt wirklich auseinandersetzen kann, bedarf es eine innige Bindung zum Geschehen. EntwicklerInnen müssen sich fragen: “Warum sollte sich irgendjemand abseits der Hauptgeschichte in der Spielwelt umschauen wollen, und wo setzen wir die Grenzen?”. Erst dann können sie wirklich gezielt Neugierde entstehen lassen, ohne die sich sonst niemand auf das Spiel einlässt.

Wäre Lara Croft nur eine x-beliebige Action-Heldin, mit der Tiefgründigkeit einer Wasserpfütze, dann hätte mich das DLC ganz und gar kalt gelassen und ich würde es wahrscheinlich gar nicht erst spielen und wenn, dann nur mit anderen zusammen. Wozu sollte ich die Familiengeschichte einer Figur erkunden, die mir egal ist? Ich wollte aber unbedingt etwas über Laras Kindheit erfahren, denn sie ist ein Teil meiner eigenen Kindheit. Allein die Titelmusik vom aller ersten Teil (1996) ist für mich ein Tor zu geliebten Erinnerungen und Emotionen, die ich nie vergessen werde!

Ein Weg diese Bindung und Interesse herzustellen wäre zum Beispiel ein Teddybär ^^

Oder auch andere kleine Besonderheiten, die nicht zu viel verraten, aber genug Tiefe haben, um das Kopfkino kräftig anzukurbeln. Dann wollen wir wissen, was passiert und lassen uns darauf ein, die Spielwelt zu erkunden.

Doch kommen wir nun zum Ende

Von meinen Eltern habe ich vor vielen Jahren ebenfalls einen kleinen Stoffbären bekommen, den ich noch heute bei mir habe. Er ist immer an meiner Seite. Deshalb vergesse ich nie, wie dieser kleine Teddy von dem Spiel plötzlich im Sarkophag auftauchte und die noch junge Lara bei ihrer ersten Expedition überraschte.

Schade, dass er im Inventar geblieben ist. Am liebsten hätte ich ihn in die Bibliothek gesetzt. Dort gab es nämlich ein Fenster mit einer Sitzbank davor, auf der sich viele andere Spielsachen, Bilder und Bastelleien befanden.

TikTok, Instagram, YouTube-Shorts, und viele andere Plattformen lehren uns heute, die Welt endlos oberflächlich und mit einer Aufmerksamkeitsspanne von nur wenigen Sekunden wahrzunehmen. Unser Geist verkümmert im Tralala der Clips, wie eine Pflanze, die nicht mehr gegossen wird.

Videospiele, die eine intensive Geschichte erzählen, haben hingegen wirklich das Potenzial, uns die Welt mit anderen Augen sehen zu lassen. Wenn wir uns die Zeit nehmen, dann rattert der Kopf, das Herz schlägt schneller und plötzlich haben wir eine andere Sicht auf die Welt.

So ist zum Beispiel das große Anwesen von Lara ein Ort voller Erinnerungen, genauso, wie es unser eigenes Zuhause ist. Im positiven, wie auch im negativen Sinne. Das habe ich gelernt. Die Gegenstände in den Räumen mögen objektiv betrachtet nur tote Objekte sein. Doch sie erwachen durch unser Herz zum Leben. Durch diese Dinge sind wir mit unseren Liebsten über alle Zeiten hinweg verbunden, auch wenn sie einmal nicht mehr bei uns sein sollten. Wenn wir sie in den Händen halten, denken wir vielleicht an unsere Eltern, oder Freunde, oder auch an ein Haustier, das für viele Jahre an unserer Seite war.

Das ist es, was uns von Robotern aus Metall unterscheidet, auch wenn künstliche Intelligenzen heute tatsächlich schon Bilder zeichnen, oder auch Texte schreiben können. Und das ist es, was wir durch das hypnotische Swipen und Wischen auf immergleichen Displays nach und nach wieder verlernen:

Wir verlernen es, uns wirklich für die Details um uns herum und auch füreinander Zeit zu nehmen. Wir verlernen es, in Kontemplation zu versinken, um tieferen Wahrheiten auf den Grund zu gehen. Gute Spiele können über ihr Ende hinaus im Gedächtnis bleiben. Das ist ihre Superkraft. Sie können sogar unsere Kindheit prägen und beeinflussen viele Interessen, die wir auch als Erwachsene in uns tragen werden. Somit haben die EntwicklerInnen ihrerseits eine enorme Verantwortung. Doch das ist eine andere Geschichte.

Wenn wir lernen, uns bewusst mit unserem Kopf und unserem Herzen verzaubern zu lassen, dann lesen wir die Welt in einer neuen Sprache.

Zum Abschluss möchte ich ein Zitat mit euch teilen. Es stammt aus: “The Talos Principle”. Dort steuern wir einen Roboter, der in einer fremden Welt gefangen ist, aber nach und nach menschlich wird. An geheimen Orten können dort einzelne Audiologs (sog. “Zeitkapseln der Erinnerung”) gefunden werden. Sie wurden von einer Wissenschaftlerin hinterlassen, der wir aber leider nie persönlich begegnen. Wir wissen noch nicht einmal, ob sie noch am Leben ist.

Eine ihrer Nachrichten ist ganz besonders. Sie sagt darin:

Die Antwort, die ich immer und immer wieder gefunden habe, ist das Spielen. Jede menschliche Zivilisation in der Geschichtsschreibung hatte Spiele. Wir lösen Probleme nicht nur, weil es nötig ist, sondern auch, weil es uns Spaß macht. Sogar als Erwachsene. Gib einem Menschen ein verknotetes Seil und er wird es entwirren. Gib ihm Bausteine und er wird etwas bauen. Spiele sind ein Teil von dem, was uns ausmacht. Wir sehen die Welt als ein Geheimnis. Ein Rätsel. Weil wir schon immer eine Spezies von Problemlösern waren.

The Talos Principle: Zeitkapsel 02

Vielen herzlichen Dank für Eure Zeit und das Lesen des Textes.

Ich hoffe so sehr, dass es nicht langweilig war und bin ganz gespannt auf Eure Kritik. Und auch einen riesen Dank an das Team von “Videospielgeschichten”.

Ihr seid wunderbar.

Ganz liebe Grüße.
Daniel.

LordJohn75Alexander StrellenDennis GereckeTobiNadineAndré Eymannmore

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6 Antworten zu „Laras Teddybär“

  1. Avatar von Dennis Gerecke

    Mir ist der Teddy leider nicht in Erinnerung geblieben. Vielleicht liegt es daran, dass ich den DLC in einem Rush nach ca. 2-3 Stunden beendet habe. Deshalb Danke für die Erinnerung an diesem kleinen, aber feinen Moment. In Rise of the Tomb Raider haben mir vor allem die Katakomben mit ihren tollen Rätseln gefallen. Und es ist schade, dass sie nur eine Nebenaufgabe sind. Man kann das Spiel lösen, ohne sie aufzusuchen. Doch dann ist das Hauptabenteuer ein ziemlich oberflächlicher Shooter. Deine TikTok-Referenz trifft es wirklich gut. Es spielt sich wie ein schnelles Abarbeiten von Spielpassen. Doch wie du wunderbar beschrieben hast: Spielen ist eine individuelle Erfahrung. Darum werde ich mir auch niemals Let’s Plays komplett anschauen, sondern ein Spiel für mich allein genießen.

    TobiDaniel
    1. Avatar von Daniel

      Vielen vielen Dank 💜
      Oh ja, die Hauptgeschichte ist nur die Spitze des Eisbergs. Mir ist da besonders das Baba Yaga-DLC in Erinnerung geblieben, wo Lara die Kontrolle über ihre Sinne verliert – total verrückt gemacht! Mein Traum wäre es, wenn in einem zukünftigen Lara-Spiel viel mehr das Entdecken und Erforschen im Vordergrund seht und weniger die Kämpfe, denn wenn es in dem Fall dann zu Kämpfen kommt, wirken sie wie ein Einschnitt, der dann auch an Bedeutung gewinnt, weil es ein krasser Gegensatz ist. Aber für mich ist Lara immer noch eine Forscherin, obwohl sie eigentlich in fast allen Teilen mehr eine Kämpferin ist – wobei: klar es heißt ja auch Tomb Raider – also Grabräuber. Aber trotzdem.

      Tobi
  2. Avatar von André Eymann

    Ich finde Deinen (ersten) Beitrag hier wirklich wunderschön Daniel! Mal ganz abgesehen von Deinem Plot bringst Du sehr leidenschaftlich rüber, wie groß Deine Liebe zu Videospielen ist. Das kann man wirklich in jedem Absatz lesen. Besonders hat es mir dieser Abschnitt angetan:

    TikTok, Instagram, YouTube-Shorts, und viele andere Plattformen lehren uns heute, die Welt endlos oberflächlich und mit einer Aufmerksamkeitsspanne von nur wenigen Sekunden wahrzunehmen. Unser Geist verkümmert im Tralala der Clips, wie eine Pflanze, die nicht mehr gegossen wird. Videospiele, die eine intensive Geschichte erzählen, haben hingegen wirklich das Potenzial, uns die Welt mit anderen Augen sehen zu lassen.

    Damit greifst Du nämlich etwas auf, dass auch mir immer wieder (vor allen Dingen auch bei meinen Kids) auffällt. Videospiele sind oft ein Gegengewicht zum Alltag, ein Rückzugsort für Geschichten und Momente der Schönheit. Dabei reicht es sogar aus, einfach nur die Ruhe und Verzauberung der Welten zu geniessen und bei beispielsweise Horizon Zero Dawn durch die Landschaft zu streifen. Mehr muss es manchmal nicht sein, um geerdet zu werden und sich glücklich zu fühlen. Das Videospiele so etwas können, begeistert mich immer wieder und zeigt mir, wie wichtig sie für die Seele sind.

    Danke für Deinen warmen und gefühlvollen Text!

    TobiDanielAlexander Strellen
    1. Avatar von Daniel

      Vielen lieben Dank für die wundervollen Worte André ❤
      Es gibt nichts Schöneres als zu wissen, dass ein Text auch das Herz berühren konnte.

      Das ist so ein schöner Gedanke von dir: Gerade die Möglichkeit sich verzaubern zu lassen und etwas bewusst zu genießen ist ein Schatz. Da hast du mich an etwas erinnert: Wir können im echten Leben auch durch die schönsten Regionen wandern, aber trotzdem blind sein. Einmal habe ich Leute gesehen, die einen Wasserfall fotografiert hatten (gelootet) – danach haben sie das Bild auf der Kamera betrachtet, um gleich darauf auch schon wieder weiter zu gehen. Sie waren dort, aber irgendwie auch nicht.

      Horizon Zero Dawn möchte ich unbedingt auch einmal spielen!
      Da gibt es so interessante Orte. Das ist der Wahnsinn. Irgendwie ist die Landschaft immer eine Art „stiller Character“, den man kennen lernen kann, auch in den Details (>.<)

      Lass es dir gut gehen und eine wundervolle Reise durch fantastische Welten – aber sei auf der Hut vor den Gefahren, die im verborgenen liegen ^^

      Tobi
  3. Avatar von Franz Zwerschina

    Sehr schöner Text! Danke … ich erlebe solche Momente, in denen man auf kleine Details achtet immer dann, wenn ich länger nicht gespielt habe! Dann weiss ich auch ein Spiel mehr zu schätzen! Durchzurushen ist für Speedrums sicher unterhaltsam und spannend, aber sich richtig in ein Spiel einzulassen und Geschichte wie die des kleine Teddys im Kopf weiterzuspinnen, das ist es, was mir immer mehr wichtig wird!

    Bei Silent Hill: Shattered Memories hab ich in der verlassenen Schule damals alle Wände nach kleinen Episteln abgesucht und mich gefreut, wenn EntwicklerInnen nen Easteregg hinterlassen haben!

    DanielAndré EymannTobiDennis Gerecke
    1. Avatar von Daniel

      Vielen Dank für deine Antwort! 💛
      Oh ja! Da bin ich ganz bei dir: Ich kenne das auch – einmal habe ich eeewig nicht mehr etwas gespielt, aber dann am Abend die Wüsten, den Sand und das ganze Ägypten Setting in AC-Origins zu sehen war super. Und die Musik im Hauptmenü – ah <3

      Silent Hill habe ich mich nie getraut zu spielen, weil es bestimmt gruselig ist, aber irgendwann werde ich es tun und über meinen Schatten springen. Die Vorstellung ist voll schön wie du an den Wänden nach Episteln Ausschau gehalten hast. Nur hätte ich wirklich Angst, dass jederzeit der Gong kommt, und die Welt sich im Dunkeln verwandelt, so wie im Film.

      Ich freue mich riesig dass dir der Text so gefallen hat!
      Liebe Grüße!

      Tobi