Ein Shem und ein Klingenohr – eine alternative „Dragon Age: Origins“-Erzählung

Avatar von Nadine

Dragon Age: Origins zählt bis heute zu meinen liebsten RPGs. Wie kaum ein anderes Spiel beflügelte es meine Fantasie und damit meinen „Headcanon“ – meine ganz eigene Vorstellung davon, wie mein Spielcharakter sich in die Welt von Dragon Age einfügt, welchen Hintergrund, welche Beziehungen und welche Entwicklungen er (oder in diesem Fall sie) durchlebt.

Manchmal reicht diese Fantasie so weit, dass die Grenzen eines Videospiels erreicht werden; dass ich eigene Ideen und Vorstellungen davon entwickle, wie eine Geschichte hätte ablaufen können – oder wie viele andere Geschichten neben der eigentlichen hätten passieren können. Manchmal möchte mein Headcanon-Charakter auch aus den beengten Fängen meines eigenen Kopfes entfliehen und in die weite Welt hinausgetragen werden.

Im Fall von „Dragon Age: Origins“ war es die Vorstellung, was wäre, wenn nicht nur „mein“ Charakter, sondern hier auch der meiner besten Freundin (die Dragon Age wohl noch weitaus mehr liebt, als ich es tue) es bis zur Hauptstory geschafft hätten. Wenn unsere beiden Charaktere aufeinander getroffen wären und dieses Abenteuer hätten zusammen bestehen können.

Aus dieser Idee entstand eine kurze Geschichte, die vermutlich zu etwas weitaus Größerem hätte werden können, es aber aus Zeit- und auch ein wenig Ideenmangel leider niemals wurde.

Eine etwas andere Videospielgeschichte:


Das Messer in der rechten, einen Eschenast in der linken Hand, saß Aderyn auf einem Baumstumpf und schabte Stück für Stück von dem Holz, brachte es in Form, hielt es hin und wieder prüfend ein Stück weit von sich, bog den Ast probehalber vorsichtig und schnitzte dann weiter. Zu ihren Füßen lagen die feinen Späne und Fäden aus dem weichen Holz, die einen guten Zunder abgeben würden.

Stille lag über dem kleinen Waldstück, nur das Zwitschern der Vögel und hier und da ein Knacken im Gebüsch waren zu hören. Es wirkte friedlich hier, sicher. Doch sie wusste, dass es nur eine Illusion war. Sie hatte gesehen, wie die Dunkle Brut aus der Wildnis gestürmt war und Ostagar überrannt hatte, wie sie Soldaten und Magier, Männer und Frauen, Menschen und Elfen abgeschlachtet hatten.

Sie selbst war dem Tode nur knapp entronnen. Stunden hatte sie unter dem stinkenden Kadaver der Dunklen Brut gelegen, sich nicht gerührt, jedes Mal den Atem angehalten, wenn eine der Kreaturen über den mit Blut getränkten Boden stapfte und die letzten klagenden Wehrufe ihrer vorigen Mitkämpfer zum Verstummen brachte. Erst als die Sonne wieder aufging und die Bestien sich zurückzogen, hatte sie sich unter dem leblosen schweren Körper hervor gewunden und war die Flucht angetreten.

Nahezu orientierungslos war sie durch die Wälder gestreift. Gen Norden, raus aus der Wildnis war der einzige klare Gedanke, den sie hatte fassen können. In einem kleinen Teich hatte sie das Blut und den Schweiß von ihrem Körper geschrubbt, bis ihre Haut ganz rot und wund war. Doch auch jetzt, fast zwei Tage später, hing ihr der Gestank von Gedärmen und Verwesung noch in der Nase.

Ihre zittrige Hand rutschte von dem Stück Eschenholz ab, schlug eine große Kerbe in den Ast und brach ihn so entzwei.
„Verdammt!“ Wütend schleuderte sie das nutzlose Stück Holz von sich. Mit einer fahrigen Bewegung wischte sie die Tränen aus ihrem Gesicht, die unbemerkt über ihre Wangen gelaufen waren. Sie rammte das Messer in den Baumstumpf, vergrub das Gesicht in ihren Händen und schluchzte.

Sie wünschte, all das wäre nie passiert. Sie wünschte, sie hätte ihren Clan niemals verlassen. Sie wünschte, sie wären nicht so leichtfertig gewesen und in diese Höhle gegangen. Sie wünschte, sie hätten diesen verdammten Spiegel niemals gefunden.
Sie wünschte, Tamlen wäre noch am Leben. „Tamlen“, schluchzte sie. Duncan hätte ihn retten sollen, nicht sie. Er war immer der Stärkere von ihnen beiden gewesen, der bessere Schütze und Jäger, geschickter im Bogenschnitzen und im Aufstellen von Fallen. Als sie noch daran verzweifelt war, Eichhörnchen zu fangen, hatte er seinen ersten Bären erlegt.

Und nun war er tot und sie eine Graue Wächterin.

Doch das bedeutete ohnehin nichts. Die Grauen Wächter waren verloren. Sie hatte gesehen, wie Duncan gefallen war und mit ihm die übrigen Männer der Wächter Fereldens. Alistair war zwar zum Turm von Ishal geschickt worden, doch der stand bald nach dem Angriff lichterloh in Flammen. Niobe, die mit ihr zusammen den Beitritt vollzogen hatte, hatte sie im späteren Getümmel der Schlacht aus den Augen verloren. Sie bezweifelte, dass die Magierin überlebt hatte. Sie war verwundert, dass sie selbst überlebt hatte. Nicht, dass es ihrem Heldenmut geschuldet wäre.

Sie nahm die Hände von ihrem Gesicht, schloss kurz die Augen und atmete tief ein und wieder aus. Jetzt war nicht die Zeit, in Verzweiflung zu baden. Sie musste weiter. Vielleicht würde es ihr noch gelingen, ihren Clan einzuholen. Jemand hatte sie sicherlich vorüberziehen sehen. Hüterin Marethari würde sie bestimmt wieder bei sich aufnehmen. Sie würde wissen, was zu tun war.

Aderyn nahm das Messer wieder an sich und verstaute die Holzspäne in einer Tasche, die sie aus einem Dachsfell improvisiert hatte. Dann machte sie sich auf den Weg.

Die Sonne zog ihre Bahn am Himmelszelt und als sie sich langsam orange zu verfärben begann und tief über dem Horizont hing, erreichte Aderyn den Kaiserlichen Hochweg. Sie hatte ihn schon einmal gesehen, einen Teil nach Ostagar war sie mit Duncan auf diesem Weg gereist.
Jetzt erklomm sie den steinernen Pfad und folgte ihm, eine Stunde lang etwa, dann erreichte sie ein kleines Dorf, das direkt an den Hochweg grenzte.

Schon von weitem konnte sie sehen, dass viele Zelte vor dem Dorf aufgestellt waren. Gebeugte Gestalten humpelten zwischen den Zelten, Frauen und Kinder, einige Männer saßen um kleine Lagerfeuer verteilt.

Als Aderyn sich der Treppe näherte, die vom Hochweg ins Dorf hinunter führte, traten ihr ein paar Menschen in ledernen Rüstungen entgegen. Einer von ihnen versperrte ihr den Weg, eine große Streitaxt ruhte neben seinem rechten Fuß, den Ellbogen hatte er locker auf das Stielende aufgestützt. Seine linke Hand hatte er nach vorn gestreckt, die Handinnenfläche zeigte zu ihr.

„He, Klingenohr“, sagte er, ein süffisantes Grinsen im Gesicht. Die zwei Männer zu seiner Linken und Rechten grinsten sie ebenfalls wenig vertrauenswürdig an.

Sie zog es vor, vorerst zu schweigen, und blieb etwa zwei Meter vor ihnen stehen.

„Für das Passieren fällt ein Wegzoll an“, fuhr der Mann nun fort. „Zehn Silber.“

Aderyns Blick huschte von einem Gesicht zum nächsten, ehe sie den Mann in der Mitte fixierte. „Ich habe keine zehn Silber“, sagte sie und bemühte sich dabei ruhig zu bleiben.

„Tja, das ist zu schade. Dann darfst du leider nicht passieren.“

„Und wer will mich davon abhalten?“, entgegnete sie. Sie spürte den Ärger in sich aufsteigen. Es war sicher nicht klug, die Männer zu provozieren. Sie war alleine und die waren zu dritt, sie hatte nur ein Messer und die hatten Äxte und Schwerter. Doch sie konnte sich nur schwerlich beherrschen. „Ein paar dämliche Shems?“

Der Mann in der Mitte lachte. „Ein aufmüpfiges Klingenohr, ist ja ganz was Neues.“ In einer schnellen und geschmeidigen Bewegung griff er nach seiner Axt, hievte sie vom Boden und schwang sie auf seine Schulter. Das Grinsen in seinem Gesicht hatte beinahe diabolische Züge angenommen. „Hör zu. Du kannst uns geben, was wir wollen. Oder wir nehmen es uns von deinem toten, kalten Körper.“ Sein Blick wanderte an ihr herunter und sie schauderte.

Ihre Hand legte sich an das Messer an ihrer Hüfte.  „Ich sagte euch, ich habe keine zehn Silber. Ich habe nicht ein einziges Kupferstück dabei.“
„Aber ein Messer. Das ist auch etwas wert.“ Er grinste noch immer. Sie hätte es ihm am liebsten aus dem Gesicht geprügelt. „Oder das Amulett da.“

Aderyns Blick glitt flüchtig nach unten. Um ihren Hals hing noch immer der Anhänger, gefüllt mit dem Blut der Dunklen Brut. Sie umfasste ihn mit der linken Hand, riss die Kette in einem Ruck entzwei und warf das Stück dem Shem vor die Füße. „Das könnt ihr haben. Ich brauche es ohnehin nicht mehr.“

„Siehst du? Das war doch jetzt nicht so schwer, oder? Den Ring nehmen wir übrigens auch.“

Aderyn schloss die linke Hand und zog sie nah an ihre Brust. „Nein“, sagte sie bestimmt. Es war der Ring, den Marethari ihr gegeben hatte. Das letzte, was ihr von ihrem Clan geblieben war.

Der Shem trat einen Schritt auf sie zu, instinktiv machte sie einen Schritt zurück und schloss die Hand um ihren Messergriff.
„Gib uns den Ring. Ich sage das nicht noch einmal.“ Das Grinsen in seinem Gesicht war nun einer steinernen Miene gewichen, aber seine Augen funkelten. Er freute sich auf diesen Kampf. Oder vielleicht auch nur darauf, sie von oben bis unten aufzuschlitzen. Es spielte keine Rolle, ob sie ihm gab, was er wollte.

Sie schnellte nach vorne, zog das Messer und stürzte sich auf ihn. Er war groß und schwer, aber viel geschickter, als sie erwartet hatte. Beinahe tänzelnd wich er ihrem Angriff aus, ohne dass die Klinge ihn auch nur gestreift hätte. Noch während er zur Seite wich, ließ er die Axt von seiner Schulter springen und waagerecht durch die Luft sausen. Nur durch einen beherzten Sprung entging Aderyn dem Treffer.

Einer der anderen Shems hatte sein Schwert gezogen und schlug in einem Halbkreis nach ihr, als sie gerade wieder auf die Füße kam. Sie parierte den Angriff mit ihrem Messer, wurde von seiner schieren Kraft aber zurückgestoßen, stolperte rückwärts, verlor das Gleichgewicht und ihr Messer und schlug der Länge nach auf das harte Pflaster des Hochweges auf. Ihr Hinterkopf traf auf Stein und vor ihren Augen tanzten Sterne.

Als sich ihr Blick klärte, erkannte sie, dass der Shem mit der Axt über ihr stand, mordlüstern grinsend. Die anderen beiden Männer flankierten Aderyn, die Schwerter auf sie gerichtet.

„Du wolltest es ja nicht anders“, griente er und schwang die Axt hoch über seinen Kopf.

Aderyn kniff die Augen zusammen und hob in einer schützenden, aber nutzlosen Geste die Arme vor ihr Gesicht. Die Axt würde ihren Kopf so oder so spalten. Ostagar hatte sie nur durch ihre Feigheit überlebt, da war dieses Ende womöglich genau das, was sie verdiente.

Ein eisig kalter Hauch umwehte ihren Körper, erschrockene Stimmen quietschten auf und dann geschah… nichts.

Vorsichtig blinzelte sie und blickte zwischen ihren gekreuzten Armen hindurch auf die Axt, die mitten in der Bewegung erstarrt war und nun fast waagerecht in der Luft hing. Die Hände und Arme, die sie hielten waren von einem weißen Dunst umgeben, aschfahl im Licht der untergehenden Sonne. Der Shem stand über ihr, wie eingefroren mitten in der Bewegung. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und von Schweiß bedeckt, seine Lippen zitterten, doch sein restlicher Körper regte sich nicht.

Die zwei Männer neben ihm hatten sich von Aderyn abgewandt und die Schwerter drohend erhoben und als die Dalish an ihnen vorbeischaute, entdeckte sie die Gestalt einer Frau, blaue Robe, weißes Haar.
„Verschwindet“, sagte Niobe an die beiden Männer gewandt, ihre Stimme ruhig und kontrolliert. Sie klang beängstigend und mit ihrer zerschlissenen und mit Blut befleckten Robe und dem leicht wirren Haar sah sie ebenso furchteinflößend aus. Das mussten auch die beiden Männer denken, denn nachdem sie kurze Blicke wechselten, senkten sie die Schwerter, traten erst zögerlich zurück und machten dann kehrt und liefen davon, so schnell ihre Beine sie trugen.

Niobe sah ihnen mit finsterem Blick hinterher, bis ihre Schritte verhallten. Aderyn lag noch immer am Boden und starrte zu der Magierin hinauf, vorbei an dem Shem, der leise, klägliche Laute von sich gab. Als Niobes Blick den ihren traf, wurden ihre Züge weich, ein besorgter Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie.

Aderyn war außerstande zu antworten. Sie nickte nur knapp, dann rappelte sie sich langsam auf, griff sich ihr Messer und blieb unschlüssig vor dem Shem stehen. Diese Art von Magie hatte sie noch nie zuvor gesehen. Zumindest nicht an etwas anderem als Tieren oder Dunkler Brut. Es war beeindruckend und beunruhigend zugleich.

Niobe trat neben sie und so standen beide Frauen nun vor dem Shem, dessen Augen zwischen ihnen hin und her blickten. Sein Atem ging stoßweise, sein Gesicht war noch immer verzerrt und jegliche Kühnheit war aus seinen Zügen gewichen. In seinen Augen spiegelte sich pure Angst.
„B… b… bi…bitte“, flehte er.

Aderyn spürte Niobes Blick auf sich und drehte den Kopf in ihre Richtung.
„Was sollen wir mit ihm tun?“, fragte die Magierin.

„Er wollte mich umbringen.“

Niobe schwieg, doch ihr Blick sagte mehr als genug.
„Er wollte mich umbringen!“, wiederholte Aderyn entschieden, trotzig, und ihr Griff um das Messer verstärkte sich. Er hatte keine Gnade verdient!

„Bitte. Ich habe Gold, Schmuck, alles, was ihr wollt.“ Das Sprechen fiel ihm offenbar schwer, seine Stimme zitterte vor Kälte, Schmerz,  Angst. „Bitte, lasst mich gehen.“

Die beiden Frauen würdigten ihn nicht eines Blickes. Sie waren immer noch fixiert aufeinander, sahen einander in die Augen, Aderyn entschieden diesen Shem büßen zu lassen, Niobe… was, wollte sie ihn laufen lassen? Einen Mörder, einen Räuber?
Die Magierin senkte den Blick. „Es ist deine Entscheidung“, resignierte sie und trat einen Schritt zur Seite.

Aderyn wandte sich dem Shem zu, das Messer fest im Griff.
„Nein, bitte. Bitte nicht.“

„Hör auf zu wimmern!“, schrie sie und ihre Hand zuckte. Sie war entschlossen, ihm das Messer in die Brust zu rammen, ihn büßen zu lassen für seine Arroganz und dafür, dass er dachte, er könnte sie ausrauben. Dafür, dass er glaubte, er könnte sich nehmen, was immer er wollte. Er und all die anderen Shemlen, die alle dachten, diese Welt gehörte ihnen allein, und die sich für etwas Besseres hielten als Elfen. Sie war so entschlossen und doch…

Sie ließ die Hand mit dem Messer wieder sinken. Sie konnte es nicht. Er hatte es verdient zu sterben, aber sie konnte ihn nicht töten. Sie spürte die Tränen aufsteigen, Tränen der Wut. Sie war wütend auf ihn, sie war wütend auf sich selbst. Mit einer ruckartigen Bewegung wandte sie sich von ihm ab.

„Es ist mir egal, was mit ihm passiert“, sagte sie im Vorbeigehen zu Niobe und blieb dann ein paar Schritte weiter stehen. Sie hatte beiden den Rücken zugewandt und starrte auf den Boden.

„Heute ist dein Glückstag“, hörte sie Niobe zu dem Shem sagen. Ein kurzes Geräusch, wie ein seichter Windzug, war zu hören, dann schepperte die schwere Axt auf den Steinboden und der Shem fiel ebenso zu Boden. Sein rasselnder Atem hallte durch die Stille. „Und jetzt verschwinde.“ Niobes Stimme war düster geworden. „Und lass dich nie wieder hier blicken. Das nächste Mal werden wir nicht so nachsichtig mit dir sein.“

Das Schaben von Metall über Stein war zu hören, als der Shem offenbar seine Axt vom Boden aufheben wollte. Aderyn fuhr herum, doch Niobe hatte bereits ihren Fuß auf den Stiel gesetzt und drückte die Waffe damit wieder zu Boden. „Die behalten wir“, sagte sie.

Der Shem nickte, schlang zitternd seine Arme um den Oberkörper und stand schwankend auf. Vorsichtig, misstrauisch machte er einige zaghafte Schritte zurück, behielt dabei aber den Blick auf Niobe gerichtet. Dann, als er sich einige Meter entfernt hatte, drehte er sich herum und begann zu laufen. Er lief und sah sich nicht wieder um.

Als er weit genug entfernt war, seufzte Niobe. Ihre Schultern sackten herab und sämtliche Anspannung schien von ihr abzufallen. Dann erregte etwas ihre Aufmerksamkeit und sie bückte sich und hob den Anhänger mit dem Blut vom Boden auf.

Als sie sich zu Aderyn umdrehte, lächelte sie und hielt ihr das Amulett entgegen. „Ich glaube, das gehört dir“, sagte sie.

Aderyn starrte darauf. „Es spielt keine Rolle“, sagte sie und schüttelte den Kopf. „Die Grauen Wächter sind alle tot.“

Wir sind Graue Wächter“, entgegnete Niobe.

„Ein Shem und ein Klingenohr. Gegen eine Armee? Ha.“

„Eine Magierin und eine Dalish.“ Niobe lächelte noch immer. Aderyn erkannte, dass ihre Zuversicht eher gespielt als echt war, aber sie musste zugeben, dass sie von der Sturheit der Magierin durchaus beeindruckt war. Das Amulett ließ Niobe in ihre Tasche gleiten und sagte: „Ich bewahre es auf, bis du es wiederhaben möchtest.“

„Ich denke nicht, dass das passieren wird“, gab Aderyn trotzig zurück.

Niobes Schultern zuckten kurz auf und ab. „Wir werden sehen.“

Sie standen einander für eine Weile schweigend gegenüber. Aderyn musterte Niobe. Sie kannte diese Frau nicht. Sie hatte vor der Schlacht vielleicht drei Sätze mit ihr gesprochen. Noch dazu war sie eine Shem. Aber es war schwer zu leugnen, dass sie ihr ihr Leben verdankte. Und im Augenblick war sie alles, was Aderyn hatte.

Sie seufzte schwer. „Was tun wir jetzt?“, fragte sie schließlich.

„Wir?“ Niobe grinste schelmisch, aber hinter der neckischen Fassade schlummerte eine unerwartet herzliche Wärme.

„Ja. Wir. Vorerst.“

„Tja. Hatte dieser Kerl nicht was von Gold und Schmuck und allem, was wir wollen, gesagt?“ Niobe deutete auf ein paar Kisten und Säcke, die am Rand des Hochweges gestapelt waren. „Ich bin sicher, davon kann man sich eine warme Mahlzeit und ein bequemes Lager für die Nacht erkaufen.“

Aderyn konnte nicht anders, als ebenfalls zu grinsen. Die Vorstellung klang mehr als verlockend. „Wenn wir einen Bogen finden sollten, gehört der mir“, meinte sie.

Niobe lachte. „Hauptsache, damit kannst du besser umgehen als mit dem Messer.“

„Kein Grund, eitel zu sein. So beeindruckend war dein kleiner Zaubertrick nun auch wieder nicht.“

„Doch, das war er.“

Aderyn verzog das Gesicht zu einer Grimasse und schritt an Niobe vorbei zu den Kisten.

Doch, das war er.

Alexander StrellenMichaelTobiAndré Eymann

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4 Antworten zu „Ein Shem und ein Klingenohr – eine alternative „Dragon Age: Origins“-Erzählung“

  1. Avatar von Alexander Strellen

    Liebe Nadine, ich habe Dragon Age: Origins geliebt! Deine Erzählung könnte tatsächlich eine Nebenquest in diesem Spiel sein. Jetzt würde ich das Spiel gerne noch mal auf der PS3 starten und mit einem neuen Charakter eine neue Reise in die wunderbare Welt von Dragon Age: Origins starten.

    MichaelTobi
  2. Avatar von André Eymann

    Ist das schön Nadine! Bisher habe ich Dragon Age: Origins nicht gespielt, aber die Idee aus dem Spiel eigene Geschichten abzuleiten finde ich einfach wunderbar. Spontan sind mir beim lesen Erinnerugen an so manches The Witcher 3: Wild Hunt Quest in den Sinn gekommen. Auch hier erinnere ich immer wieder Bilder und Situationen, die man in Textform weiterspinnen könnte.

    Überhaupt: das man so kreativ wird, eigens erfundene Mini-Geschichten zu erzählen, die auf deinem Videospiel basieren, ist ja wohl der Ritterschlag für einen Spieleentwickler, oder? Man kann man sich mehr wünschen? Es ist ja ein klares Zeichen für die leidenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk. Aus Kunst wird sozusagen wieder Kunst. Einfall toll!

    Danke für das Teilen Deiner Worte – ich habe mich schnell darin verloren und liebe es!

    MichaelTobi
  3. Avatar von Tobi

    Liebe Nadine, was für eine gute Geschichte du uns hier (exklusiv?) vorträgst, danke schön. Ich kann mir gut vorstellen, dass wirklich mehr daraus werden könnte, die nötige Zeit und Ruhe.. ach lassen wir das lieber, wer kennt das nicht. Liebe Grüße gehen an deine Fantasie raus, denn ich finde es schon bemerkenswert, wenn sich – inspiriert durch ein Spiel – die Gedanken nicht nur verselbstständigen, sondern man sie auch noch richtig ordnen und zu einer Geschichte formen kann. Fantasy ist meistens so gar nicht meine Ecke und somit kenne ich Dragon Age auch nur vom Namen her, du hast es mit deiner super lesbaren und spannenden Schreibe aber locker geschafft, dass ich unbedingt weiter lesen wollte.

    Was für ein interessantes Medium die Spielerei doch ist, wenn sie es schafft, dass man auch bei ausgeschalteten Geräten mindestens ein wenig in diesem Universum stecken bleibt. Nicht nur heute, sondern auch damals schon, als ein paar Bilder oder Artworks auf den Boxen die Fantasie noch vor dem Kauf beflügelt haben und man sich dann im Spiel mit grober Klotzgrafik in diese Spielwelt hineinversetzt hat. Fantasie ist es erst, die uns so vieles schenkt. Was wären Bücher oder Spiele ohne sie? Wären sie überhaupt? Danke für deine Geschichte!

    André EymannNadineMichael
    1. Avatar von Nadine

      Lieber Tobi,
      ganz lieben Dank für deinen Kommentar. 🙂
      Ich wünschte auch, ich hätte die Geschichte weiter geschrieben, aber naja… vielleicht kommen dafür andere an ihrer Stelle (oder überhaupt irgendetwas 😀 ).
      Schade, dass Fantasy und damit Dragon Age nicht so deinen Geschmack treffen – umso schöner finde ich es, dass ich dich trotzdem gut unterhalten konnte!

      Das mit der Fantasie kann ich so nur unterschreiben – was wäre ohne sie.
      Ich genieße genau deshalb glaube ich auch immer die Spiele am meisten, die meine Fantasie so beflügeln können. Es macht erstens meistens mindestens doppelt Spaß – und man hat auch noch lange nach dem Ausschalten der Konsole oder des PCs etwas davon, manchmal sogar noch lange, nachdem das Spiel schon durchgespielt ist.

      André EymannMichaelTobi