Die Bronzezeit des Gamings: der TRS-80 in den späten 1970ern

Avatar von Nele Abels

Wenn ich mit meinem angegrauten Haupthaar einen Controller in der Hand halte oder das Gespräch auf Computerspiele kommt, fragt man mich ab und an, wie lange ich denn eigentlich schon ein Gamer sei. „Mhm,“ sage ich dann immer etwas ratlos, „eigentlich schon länger, als es das Wort gibt.

Mit 8-Bit-Computern beschäftige ich mich schon seit 1978 oder 1979. Und da habe ich natürlich als kleiner Dötz auch ziemlich viel gespielt.“ Und dann kommt sie, die unweigerliche Antwort: „Ach so, auf dem C64, nicht wahr?“

Nein. Es war nicht der C64. Den gab es nämlich damals noch nicht. Nicht einmal seinen Vorläufer, den VC-20, den es in Deutschland ab 1981 zu kaufen gab. Wenn man die große Heimcomputer-Zeit, die mit dem C64 in Deutschland erst 1983 eingeläutet wurde, als die klassische Antike der Computerspielzeit betrachtet und die Zeit der selbstgelöteten Bastelcomputer als die Jungsteinzeit, dann war ich wohl mit meinen Erlebnissen ein paar Jahre in der Bronzezeit der Mikroprozessorwelt unterwegs.

Die Großen Drei

Bevor nämlich Heimcomputer im Laufe der 80er in zahlreichen Jugendzimmern auftauchten und den Nachtschlaf in der Schulzeit unverantwortlich verknappten, waren in den USA ab 1977 die „Großen Drei“, die „Big Three“, die Geräte, die den Menschen den Zugang zur Computertechnologie erlaubten, die ihren Rechner nicht selbst mit dem Lötkolben in der Hand bauen oder gar konstruieren wollten: der CBM Pet, der Apple II und der TRS-80. Aus dem Pet entwickelten sich VC20 und C64 und damit wichtige Gaming-Plattformen. Auch den Apple II kennt heute fast jeder, der sich für Retro-Gaming interessiert, und er war auch von Anfang an mit Farbdarstellung und zumindest Pieps-Sound für Spiele geeignet.

"The Big Three", Tim Colegrove, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
„The Big Three“, Tim Colegrove, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Die Hardware eines Uralt-Computers

Und wie sieht es mit dem TRS-80 aus? In Deutschland ist dieser Computer kaum bekannt und in Retro-Gaming-Kreisen wird er auch fast nie erwähnt. Schaut man sich die technischen Spezifikationen an, ist es leicht, an seiner Gaming-Tauglichkeit zu zweifeln: die „Grafikauflösung“, wenn man sie überhaupt so nennen will, beträgt spärliche 127 mal 47 Pixel in Schwarz und Weiß. Diese Auflösung wird auch nur über einen Trick erreicht. Die Bildschirmdarstellung des TRS-80 ist eine reine Zeichendarstellung in einem Speicherraum von einem Kilobyte, der im RAM reserviert ist. Ein Teil des Zeichensatzes besteht aus Mustern von 2×3 Klötzchen. Wird der entsprechende Wert in den Speicher geschrieben, erscheinen die Pixelrechtecke an der entsprechenden Bildschirmstelle. Das Prinzip ist das gleiche wie die Grafikzeichen bei den Commodore-Maschinen, nur noch etwas primitiver.

Und der Sound? Sehr einfach, ursprünglich war beim TRS-80 keinerlei Tonausgabe vorgesehen, das war also noch weniger als die Piepsmöglichkeiten des Apple II und des Commodore Pet und das blieb auch so, bis findige Anwender entdeckten, dass man über den eigentlich zur Datenspeicherung vorgesehenen Kassettenausgang einen Klick erzeugen und in Maschinensprache zur einstimmigen Tonerzeugung verwenden konnte. Die Ausgabe erfolgte, indem das Kassettenkabel mit einem Verstärker verbunden wurde. Von Soundchips braucht man hier also nicht zu reden, auch nicht von anderen Spezialchips. Die ganze Architektur des TRS-80 wird ausschließlich durch den mit 1 MHz getakteten Z80-Prozessor gesteuert.

Wie war das Spielerlebnis Ende der 70er?

Erstaunlicherweise ging das ziemlich gut, wie die weitere Geschichte des TRS-80 zeigt, und dazu trug sicherlich auch die weite Verbreitung dieses Computers in den USA bei. Hier in Deutschland sah man davon natürlich nichts, aber jenseits des Atlantiks wurde der Rechner in großer Zahl von der Firma Radio Shack vertrieben, das war eine Ladenkette für Elektronikwaren, die man vielleicht mit Conrad hier in Deutschland vergleichen kann.

Radio Shack kaufte die Lizenz von den Entwicklern auf und stellte ein Paket mit einem zum Monitor umgebauten Schwarzweiß-Fernseher und einem hauseigenen Kassettenrekorder als Datenspeicher zusammen, der zu einem relativ moderaten Preis von 599 $ aus jeder Filiale in den USA mitgenommen werden konnte. Eine breite Basis von Anwendern entstand, die bei der Frage, was man denn mit diesen Computern machen könnte, sehr bald auf die naheliegende Antwort kam: Spiele programmieren und spielen! Und daraus entstand über Computerzeitschriften und wagemutige Jungunternehmer sogar eine Industrie, bevor es den C64 überhaupt gab.

Heutige Gamerinnen und Gamer haben ihr Spielerlebnis in der Regel mit durchdesignten PCs, vor denen sie in durchdesignten Gamingsesseln sitzen. Oder sie fläzen sich auf dem Sofa vor einem riesengroßen Fernseher, der an der Konsole hängt. Das Computerspielerlebnis in den späten 70ern sah anders aus – der TRS-80 des im Durchschnitt männlichen Computerfreundes stand im typischen Fall in einer eher ungemütlichen Mischung aus Techniklabor und Rumpelkammer, weder wohnlich noch ästhetisch. Oft dunkel und muffig, nicht selten von Nikotin- und Lötzinnschwaden durchzogen. Eine besonders gesunde Umgebung war das wohl nicht.

Wenn ich mich in diese Zeit versetze – ich habe heute leider keinen TRS-80 mehr –, dann sehe ich vor meinem inneren Auge einen Computer, der schon äußerlich ein Sammelsurium von Technik darstellt. Sicherlich ist die Technik in Schwarz und Silbergrau gehalten, den Hausfarben von Radio Shack. Doch das Silber ist nur eine billige Sprühfarbe, die bald an den Stellen abgerieben ist, die oft mit der Haut des Benutzers in Kontakt kommen. Und das war eigentlich die gesamte Designlinie, denn schon in der Grundausstattung folgten Kassettenrecorder und Monitor aus fremder Herstellung einer völlig anderen Formgebung.

Der Computer selbst, der mit seiner Volltastatur dem C64 entfernt ähnlich ist, war anders als der Apple II anfangs nicht auf Erweiterungen ausgelegt. Für das schon bald angefragte Disketteninterface, eine abschließende Speichererweiterung auf 48KB RAM (mehr war nicht möglich) und ein serielles Druckerinterface gab es ein getrenntes Erweiterungsgerät, das „Expansion Interface“, das mit einem breiten und notorisch unzuverlässigen Flachbandkabel an den Computer angeschlossen wurde. Es diente auch als Aufbewahrungsort für die zwei Stromversorgungen, eine für das Interface selbst, die andere für den TRS-80. Das oder die Diskettenlaufwerke – das Betriebssystem des TRS-80 kann bis zu vier Laufwerke ansteuern –, ist seinerseits mit einem Flachbandkabel an das Interface angeschlossen und hat seine eigene Stromleitung. Das Ergebnis ist ein Kabelsalat zwischen großvolumigen Gehäusen, die die Oberfläche des Schreibtisches vollständig bedecken und die man besser nicht verschiebt, um bloß keine Kontakte zu unterbrechen. Und heutige PC-Benutzer klagen über die Unordnung ihrer Handvoll Kabel …

Ein ausgebautes TRS-80 System, Digibarn Computermuseum, CC BY-NC-SA
Ein ausgebautes TRS-80 System, Digibarn Computermuseum, CC BY-NC-SA

Um das wertvolle Gerät vor Spannungsspitzen zu schützen, sind die Komponenten tunlichst in der richtigen Reihenfolge einzuschalten, zumindest ging damals so das Gerücht. Erst die Diskettenlaufwerke, dann das Expansion-Interface und der Monitor, was von einem leisen „Fumpbrzzzt“ der Hochspannungsbildröhre begleitet ist.

Zuletzt dann der Computer selbst, sodass je nach Ausstattung entweder ein wortkarges „Memory size?“ oder die Zufallswerte des Videorams auf dem Bildschirm zu sehen sind, der seinerseits noch nicht ganz aufgewärmt und etwas dunkel ist. Aber das kommt noch, genauso wie der staubige Elektronikgeruch, den die schlecht abgeschirmten Geräte als elektrostatische Staubfänger nach einiger Zeit verbreiten. Apropos Abschirmung: Das erste Modell des TRS-80 war in dieser Hinsicht so schlecht aufgestellt, dass es Radio- und Fernsehempfang in anliegenden Räumen stören konnte, weswegen es aufgrund der verschärften Funkemissionsschutzgesetzgebung in den USA ab 1981 nicht mehr hergestellt wurde. Zum Glück hatte ich damals in der Hinsicht nicht allzu viele Schwierigkeiten mit meinen Eltern.

Es war alles eine Geduldsprobe …

Nun konnte der freudig erregte Computerfreak – den Begriff „Gamer“ gab es damals wie gesagt noch nicht – also endlich sein Spiel laden. Ganz zu Beginn war das Mittel der Wahl der Kassettenrekorder wie auch später noch beim C64 die Datasette, denn die Erweiterung auf Diskettenspeicher war sehr teuer: 199 $ für das Expansion-Interface, 849 $ für ein Diskettenlaufwerk mit 168 KB Speicherkapazität. Das Grundpaket aus Computer, Monitor und Kassettenrekorder konnte man dagegen für 599 $ (heute wären das ca. 2600 $) bei Radio Shack bekommen. Das konnte sich natürlich kaum jemand leisten, also rein mit der Kassette in den Rekorder, auf die richtige Stelle gespult und „cload“ in den Basic- Prompt getippt. Dann hieß es warten und Daumen drücken.

Der C64 und der ZX-Spectrum verbinden die Eingangssignale vom Band mit der Videodarstellung des Bildschirmrandes, sodass man mit etwas Erfahrung an dem Grafikgeflacker die Qualität des Ladevorgangs und eventuelle Fehler leicht erkennen kann. Beim TRS-80 gibt es das nicht, hier wird der Ladevorgang mit zwei Sternen in der oberen rechten Bildschirmecke angezeigt, die bei jeder geladenen Zeile eines Basicprogramms oder bei einer Anzahl von geladenen Bytes aufblinken. Ladefehler erkennt der Computer nicht und kann daher auch nicht den Vorgang abbrechen.

Der typische TRS-80 von 1979 lädt mit 500 Baud, d. h. ca. 60 Bytes pro Sekunde von Kassette. Ein typisches größeres Computerspiel von 16 KB Länge hat also eine Ladezeit von fast fünf Minuten ohne einen verlässlichen Hinweis, ob der Ladevorgang erfolgreich war oder nicht. Gibt die Geduld nach oder wird klar, dass die Sache schief gegangen ist, weil die Sternchen überhaupt nicht mehr blinken, gibt es nur eins: zurückspulen und den Lautstärkeregler des Kassettenrekorders minimal und auf gut Glück nachjustieren. Bei der notorischen Unzuverlässigkeit der Ladevorgänge hatte der bronzezeitliche Gamer der Vorgeschichte also schon seinen Nervenkitzel, bevor er das Spiel überhaupt zum ersten Mal zu Gesicht bekam …

Es ist also kein Wunder, dass sich Diskettenlaufwerke trotz der Kosten relativ schnell verbreiteten. Und die Betriebssysteme des TRS-80 waren auch sehr viel komfortabler und aus Hardwaregründen sehr viel schneller als die des C64. Man kann gut damit leben, wenn die Bootdiskette surrt und klackert und nur Sekunden später der Vorgang abgeschlossen ist. Bei den Laufwerken, die ich damals hatte, wurden die Leseköpfe mit wuchtigem Klacken elektromechanisch abgesenkt und angehoben, sodass mir sehr bald das Computerspiel während des mütterlichen Mittagsschlafes untersagt wurde. Diese Laufwerke im 5,25″- Format, das damals üblich war, hatten noch die sogenannte „volle Bauhöhe“, waren also mit 83 mm doppelt so hoch wie ein CD-ROM-Laufwerk in alten PCs. Schaut man sich diese Laufwerke heute von innen an, staunt man darüber, wieviel Luft im Spritzgussträger verbaut und wie locker die Steuerplatine entworfen ist. Größenreduktion war damals einfach kein Ziel für die Ingenieure.

Als die Diskettenlaufwerke in die Computerbude meines Vaters Einzug gehalten hatten, war das Leben für mich kleinen Computerfreak jedenfalls sehr viel entspannter. Ich konnte mir mit ca. 12 Jahren neben der Programmiersprache BASIC auch die Grundlagen eines Betriebssystems beibringen und nebenbei lernte ich viel Englisch, da natürlich nur die amerikanischen Originalhandbücher vorhanden waren, die ich mit einem Wörterbuch und Rumprobieren entzifferte.

Laden und Speichern ging zum ersten Mal zügig und sicher; insgesamt sind TRSdos und Newdos, die frühen Betriebssysteme des TRS-80, deutlich schneller und leistungsfähiger als die Möglichkeiten des C64, vor allem ohne Speedloader. Auch die Datensicherheit der Disketten hat sich über mittlerweile Jahrzehnte als erstaunlich gut erwiesen, sehr viel besser als damals in den Zeitschriften prognostiziert, aber auch sehr viel besser als mit den späteren 5,25″-Disketten hoher Dichte. Eine Diskette aus einem heutigen Dachbodenfund ließe sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einem TRS-80 lesen. Ich war jedenfalls zufrieden und tat, was man als computeraffiner, präpubertierende Stubenhocker eben so tut: spielen und programmieren!

Die Legalität war so eine Sache …

Aber woher bekam man Spiele für den TRS-80? In den USA gab es recht bald nach der Einführung des Computers Vertriebswege über Radio Shack und die um 1980 überall sprießenden Computerläden, wo Jungunternehmer mit amerikanischem Elan und viel Eigeninitiative selbst programmierte Spiele verkauften. Aber jenseits des Atlantiks war auch schon eine technik- und computerfreundliche Kultur entstanden, die wir hier in Deutschland nicht hatten und auch noch viele Jahre nicht haben sollten. Software aus den USA wurde zu horrenden Kosten importiert und zu noch horrenderen Kosten in Deutschland weiterverkauft. Anfang 1980 war der Preis für ein eigentlich schon veraltetes Arcadespiel für den TRS-80 im Fachhandel zwischen 50 und 100 DM, was heute vielleicht einem Preis zwischen 80 und 150 Euro entspräche. Eine unglaubliche Summe aus der Perspektive eines zwölfjährigen Jugendlichen zu dieser Zeit …

Die Antwort ist klar: Raubkopien, der Fluch und der Segen der klassischen Computerzeit. Die Architektur dieser alten Maschinen ist einfach und auch für den interessierten Laien mit ausreichender Neugier zugänglich. Jedes Spiel, das auf dem Markt erschien, war in kürzester Zeit als Kopie verfügbar.

Der Wettlauf zwischen Kopierschützern und Crackern hatte noch nicht einmal begonnen. Wenn ein Programm für den TRS-80 auf einer Diskette war, war es frei kopierbar. Als kleiner Dötz um 1980 kam ich so an meine Spiele – der Bekanntenkreis meines Vaters tauschte ohne jede Bedenken kommerzielle Software aus und redete von ihnen als „Sicherheitskopien“. Als Jugendlicher brauchte ich mehrere Jahre, um überhaupt zu verstehen, dass Programme eine Ware sind, die man kaufen kann und muss.

Ende der 70er Jahre war in dieser Hinsicht noch viel im Fluss, Raubkopierer hielten sich noch für moderne Robin Hoods und vertraten die originale Hackermentalität, dass Informationen und Software frei und für jeden verfügbar sein müssen. Die Reaktionen der Softwarehäuser waren dem gegenüber noch über Jahre ungeschickt – anstatt dem Kunden attraktive Angebote zu machen, arbeitete man mit unbequemem Kopierschutz und machte sich über die nächsten Jahre durch restriktive Rechtsmittel unbeliebt – hier in Deutschland ist der Abmahnanwalt von Gravenreuth und sein trauriges Schicksal notorisch. Aber zu meiner Zeit am TRS-80 war es noch so, dass Software einfach für mich dadurch erschien, dass mein Vater Disketten mitbrachte. Damals hatten wir kein schlechtes Gewissen deswegen, auch wenn ich heute für mich strikt ablehne, raubkopierte Software zu verwenden.

Selbst programmieren ist auch eine Lösung!

Die andere Softwarequelle dieser Zeit war der Austausch von Programmlistings, die es schon sehr früh in Zeitschriften und Büchern gab. Das war auch der wichtigste Weg, für kleine Hobbyisten wie mich, das Programmieren zu lernen, sei es in BASIC oder in Maschinensprache. Es gab schließlich kein YouTube, keine Kurse und von Computern in der Schule brauche ich überhaupt nicht anzufangen.

Also haben wir Listings von Papier abgetippt, vergeblich gestartet („Syntax error“. Mist, vertippt!) und in stundenlanger Kleinarbeit zum Laufen gebracht. Und dann vielleicht ab und zu gespielt und regelmäßig gemerkt, dass die Spielfreude die ganze Mühe nicht wert gewesen war. Aber irgendwie war es Teil des Vergnügens, das Programm beim Abtippen und Debuggen zu verstehen und hinterher vielleicht zu verändern. In der ganz frühen Zeit war ein Buch von ganz besonderer Bedeutung, das noch über Jahre hinweg nicht nur in viele Sprachen übersetzt, sondern auch immer wieder neu aufgelegt wurde: David Ahls „101 BASIC Computer Games“ von 1973, in denen er Spiele aus einem Newsletter des DEC-Konzerns zusammenfasste und später auch unter dem Dach des wichtigen Computermagazins „Creative Computing“ neu veröffentlichte.

David Ahl: Basic Computer Games, Creative Computing, 1978.
David Ahl: Basic Computer Games, Creative Computing, 1978.

Diese frühen Spiele hatten keine Grafik und keinen Ton. Aber sie hatten etwas, was es in dieser Form vorher noch niemals gegeben hatte und vor allem für mich als jungen Dötz vorher unvorstellbar war: eine dynamische Interaktion mit der scheinbar intelligenten Maschine. Als Spieler konnte man dem Computer etwas sagen und er reagierte und das, dank Zufallsgenerator und komplexer Algorithmen, unvorhersehbar. Selbst mit den einfachen Mitteln dieser Zeit konnten damit Spannung und Überraschung erzeugt werden, aus einfachen Buchstaben und Zahlen wurden mit Phantasie fantastische Welten, fremde Galaxien, mächtige Wirtschaftsunternehmen. Es war bei aller Kargheit eine neue, revolutionäre Form des Spielens, die Menschen, die die Entwicklung der damaligen Zeit nicht unmittelbar selbst miterlebt haben, heute vielleicht nur schwer nachvollziehen können.

Ich bin der König der Welt!

Eines der frühesten Aufbauspiele ist in David Ahls Kompendium enthalten: „Hamurabi“, das in seiner ersten Form 1968 in Focal programmiert worden war und von Ahl dann Anfang der 1970er in BASIC übersetzt wurde. Dieses Spiel ist eine rudimentäre, nur 3 KB große Wirtschaftssimulation und zusammen mit seinem unmittelbaren Nachfolger „Santa Paravia and Fiomaccio“ (1978) der Urahne moderner God Games, in denen es darum geht, ein Unternehmen oder eine Gesellschaft zu lenken und zu entwickeln. Es ist müßig und wohl auch unmöglich, nur die wichtigsten dieser Nachkommen aufzuzählen, die man über die Jahre auf unterschiedlichsten Plattformen – Konsole, PC oder Smartphone – gespielt hat oder spielt. Sei es nun „Populos“, sei es „Sim City“, „Patrizier“, „Siedler“, „1403“ oder seien es auf andere Spiele aufgesetzte Wirtschaftssimulationskomponenten wie in „Assassin’s Creed“ oder in „Fallout 4“; sie alle gehen zurück auf die zwei Seiten Programmcode in BASIC von „Hamurabi“.

David Ahl: Basic Computer Games, Creative Computing, 1978, p.79.
David Ahl: Basic Computer Games, Creative Computing, 1978, p.79.

Natürlich kann man nicht viel Spielkomplexität in drei Kilobyte Software unterbringen, vor allem nicht, wenn das Spiel noch ein Benutzerinterface in menschlicher Sprache enthalten soll – und das war ja das Neue an dieser Form von Computerspiel. Die Dialogführung des Programms ist so angelegt, dass der Computer die Rolle des Großvesirs einnimmt, der dem Spieler in der Rolle des Hammurabi die wirtschaftliche Lage Sumers darlegt und ihn um seine Entscheidungen bittet. Das benötigt Stringspace für die Dialogdaten.

Das Spielprinzip ist sehr gradlinig: es geht darum, zehn Herrschaftsjahre möglichst gut, das heißt ohne zu viele verhungerte Untertanen und ohne zu großen Landverlust zu überstehen. Der Spieler trifft zu Beginn jeden Jahres die Entscheidung, wie viel Getreide aus dem Vorrat an die Untertanen zum Verzehr ausgegeben wird, ob und wie viel Land zusätzlich ge- oder verkauft wird und wie viel Getreide auf den Feldern ausgesät werden soll. Aber wie viel Getreide braucht ein Untertan zum Überleben? Welche Preisschwankungen gibt es und wovon hängen sie ab? Welche Strategie sollte man am besten verfolgen?

Anders als heutige Spiele, die mit gemütlichen Tutorials beginnen und ausführlich alle Spielmechaniken erklären, sind die Games der Frühzeit unbarmherzig. Es ist dem Spieler oder der Spielerin überlassen, die Zusammenhänge zu erforschen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Entweder durch geduldiges Versuchen und Scheitern oder durch die Analyse der mathematischen Modelle im Programmcode. Die katastrophale Niederlage ist für die ersten Spiele vorprogrammiert.

Gameplay von Galaxy Invasion, Nele Abels, CC BY-SA 4.0
Gameplay von Hammurabi, Nele Abels, CC BY-SA 4.0

Und so nehme ich das Herrscherszepter von Sumer in die Hand (obwohl Hammurabi ja eigentlich in Babylon herrschte) und versuche es erst mit der ersten Methode und dann, nachdem mir Jahr um Jahr fast alle Untertanen verhungern und Revolutionen anzetteln, mit der zweiten. Nachdem ich mich durch den Spaghetti-Code mit mehrdeutigen Variablennamen gekämpft habe, weiß ich wenigstens, dass ein Untertan 20 Scheffel Getreide braucht und 10 Hufen Land beackern kann, auf die jeweils ein Scheffel ausgesät wird.

Außerdem lerne ich recht bald, dass bei der Eingabe sehr sorgfältig und behutsam vorgegangen werden muss: es gibt keine Fehlerbehebung und ein einziger unbedachter Druck auf die Eingabetaste bei der Frage nach der Getreideausgabe führt zum Massenhungertod und sofortigen Spielende. Argh!

Nach etlichen weiteren Versuchen gelingt mir dann ein verantwortungsvoller Regierungslauf. Ich spekuliere auf Landkäufe, um bei katastrophalen Ernten Kapital zum Getreideankauf zu haben, sodass ich drei Hungersnöte abwenden kann. Die Strategie gelingt, kein einziger meiner Untertanen muss des Hungers sterben. Im Gegenteil steigt die Bevölkerung um gut ein Drittel! Sehr zufrieden reibe ich mir die Hände, nur damit mir das Spiel bei der Endabrechnung mitteilt, dass sich das Verhältnis zwischen Bevölkerungszahl und Landgröße verschlechtert habe und ich deshalb wegen meiner miserablen Regierungsfähigkeiten verlacht würde. Ich ertappe mich bei dem zynischen Gedanken, dass mir wohl die Pest beim Spiel sehr geholfen hätte, die die Bevölkerungszahl halbiert, aber die Getreidevorräte unangetastet lässt…

„Hamurabi“ hat heutzutage wahrscheinlich keinen wirklichen Spielwert mehr, außer als Kuriosität oder aus historischem Interesse. Aber es steht ja auch ganz am Anfang einer langen Entwicklung und schon die nächste größere Weiterentwicklung „Santa Paravia and Fiomaccio“ aus dem Jahr 1978 lebt sogar noch heute, über 40 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, in seiner Reinkarnation als „Kaiser“ weiter als Google App.

Die abgespeckte Spielhölle im Kinderzimmer

Die ersten kommerziellen Spiele, die Ende der 1970er Jahre auf dem Markt für Microcomputer erschienen, boten dagegen von Anfang an mehr. Dies hing auch mit dem Anspruch der Programmierer zusammen, dem oder der Gamerin auf dem heimischen Computer die Unterhaltung zu bieten, die sie sonst für ihre 25 Cent pro Spiel in der Spielhalle, der „Arkade“ bekamen. (Hierzulande kostete ein Spiel den unverschämten Wahnsinnspreis von einer Mark!)

Da galt es natürlich, gegen das technische Niveau der Konkurrenz zu bestehen: Farben, Bewegung, mehrstimmiger Sound. Dergleichen war auf den eingeschränkten Hardwaremöglichkeiten des TRS-80 selbst mit Abstrichen kaum möglich. Aber auch auf vielen späteren Heimcomputern war Bildschirmanimation ein Problem, schon eine etwas höhere Auflösung von 256×192 wie beim ZX-Spectrum war ohne geschickte Programmiertricks oder ohne Hardwarehilfen (wie die Sprites beim C64) kaum zu bewältigen.

Der Grund war die für den nur 1 MHz schnellen Prozessor die aus heutiger Sicht lächerliche Menge von 6KB Grafikdaten, die verändert und überprüft werden mussten. Hier ist allerdings die primitive Architektur des TRS-80 seine Stärke. Das Bildschirm-RAM ist nur 1 KB groß und entsprechend schnell beschreibbar. Das ermöglicht erstaunlich schnelle und dynamische Arcadespiele, die auch heute noch Spaß machen können. Ohne dezidierte Soundchips wie in den späteren Heimcomputern ist mit diesem Computer außer Ton mit einstimmigen Frequenzen natürlich wenig zu machen, denn selbst, wenn aufwändigere Soundgenerierung über Software prinzipiell gelöst werden kann, muss dafür die wertvolle Rechenzeit mit Grafikansteuerung und Spielgeschehen geteilt werden. Trotzdem gelang es findigen Programmieren über den Kassettenrekordereingang sogar Sprache zu sampeln und in die verfügbaren 16 KB Speicher zu quetschen. (Damals luden Spiele noch nicht nach, sämtliche Daten mussten von Anfang an im Speicher stehen.)

Ein auf dem TRS-80 beliebtes Arcadegame, an dem man all diese Aspekte betrachten kann, ist „Galaxy Invasion“ (1980) von Big5-Software, einer Firma die erfolgreich einige gängige Arcadetitel dieser Zeit coverte oder adaptierte. „Galaxy Invasion“ ist eine Variante von „Galaxian“, dem Arcadeautomaten, auf dem zuallererst echte Bildschirmfarben und ein gescrollter Hintergrund zu sehen waren. Das Spielprinzip ist einfach, man steuert sein Raumschiff nach links und rechts, weicht feindlichen Geschossen aus und versucht, den Bildschirm von Alienraumschiffen zu säubern. Ab und zu stürzen die auf dem TRS-80 ikonisch gewordenen, rotierenden Flagships von zwei Eskorten begleitet auf den Spieler zu. Gelingt es nicht, das angreifende Flagschiff schnell genug abzuschießen, ist das Ende besiegelt. Nach einigen Sekunden zerstören alle Flagschiffe auf dem Bildschirm das Spielerraumschiff gemeinsam mit ihren Laserstrahlen.

Gameplay von Galaxy Invasion, Nele Abels, CC BY-SA 4.0
Gameplay von Galaxy Invasion, Nele Abels, CC BY-SA 4.0

Um das Spielerlebnis noch interessanter zu machen, wird im Spielverlauf ab und zu der Bildschirm umgedreht, so dass sich das Spielerraumschiff am oberen Bildschirmrand befindet. Aus heutiger Sicht ist das vielleicht unnötige Schikane aber damals war es … neu! Wir hatten ja nichts … Als kleiner Gamer habe ich jedenfalls dieses Spiel häufig und gerne gespielt und war so gut geworden, dass ich schneller alle 10.000 Punkte ein Extraraumschiff gewinnen als verlieren konnte. Das hieß, ich konnte dieses Spiel so lange spielen, bis ich aus Erschöpfung in Ohnmacht fiel. Ein einziges Mal trieb ich es so weit, dass ein interner Programmparameter wohl einen Überlauf hatte und die Schwierigkeitseinstellung auf das einfachste Niveau beim Neustart zurückschaltete. Damit war für mich bei diesem Spiel alles erreicht und ich spielte es eigentlich nur noch ab und zu, das allerdings bis heute.

Es gäbe noch viel zu erzählen über diese frühen Spiele, vor allem auf diesem exotischen alten Computer: die Textadventures von Scott Adams, der dieses Genre überhaupt zum ersten Mal auf einem 8-Bit-Computer verfügbar machte. Der schon oben erwähnte Strategieklassiker „Santa Paravia en Fiomaccio“, die leider vergessene Trilogie „Galactic Empire“, „Galactic Trader“, „Galactic Revolution“. Der RPG-Klassiker „Temple of Apshai“ und vieles andere mehr. Aber davon vielleicht ein anderes Mal.

Bildnachweise

  • 1. „The Big Three“, Tim Colegrove, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trinity77.jpg
  • 2. Ein ausgebautes TRS-80 System, Digibarn Computermuseum, CC BY-NC-SA, https://www.digibarn.com/collections/systems/trs80-model1/index.html
  • 3. David Ahl: Basic Computer Games, Creative Computing, 1978.
  • 4. David Ahl: Basic Computer Games, Creative Computing, 1978, p.79.
  • 5. Gameplay von Hamurabi, Nele Abels, CC BY-SA 4.0.
  • 6. Gameplay von Galaxy Invasion, Nele Abels, CC BY-SA 4.0
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4 Antworten zu „Die Bronzezeit des Gamings: der TRS-80 in den späten 1970ern“

  1. Avatar von Michae Noe
    Michae Noe

    Eine der besten Stories, dier ich hier seit langem gelesen habe! Danke dafür! 😉

    (Bin selbst CPC-User. :-))

  2. Avatar von Frank Hermsteiner
    Frank Hermsteiner

    Mein erster Computer, geschenkt von einem Cousin, der damals schon IT-ler bei der Ruhrkohle AG war. Was haben wir Basic gehackt und am Ende sogar etwas Assembler, ich glaube nach dem Buch von Rodney Zacks o.ä.

    Ich kann mich noch erinnern, dass ich u.a. folgende Programmier-Projekte hatte:

    Ein aus einer Computerzeitschrift ab- und umgeschriebenes Programm zur Darstellung einer Weltkugel. Mein Bruder und ich haben dafür erstmal tagelang die Weltkarte im Atlas mit Lineal und Millimeterpapier „digitalisiert“.

    Ein Programm, das aus Zahlen „3-D“ Balkendiagramme machte.

    Ein ganz brauchbares Wator-Programm (Umwelt-Simulation)

  3. Avatar von Gerrit Ludwig

    Wow, was für ein toller Artikel!
    Ich kannte den als „Trash-80“ bezeichneten Computer nur aus dem Buch „Extraleben“ und hatte keine Ahnung, dass es sowas tatsächlich in Deutschland gab.
    Besonders dein Aufzeigen der technischen Eigenschaften (oder noch besser Einschränkungen) und dein stetiger Vergleich mit etwas besser bekannten Heimcomputern finde ich großartig! Ich freue mich auf den nächsten Beitrag mit den anderen Spielen und fände auch einen kurzen Blick auf dein Erlebnis „Maschinensprache lernen“ klasse.

  4. Avatar von Michael

    Hallo liebe Nele! Sehr schön, wie du das „Fumpbrzzzt“, beim Einschalten des Monitors beschreibst :0) Man kann zwar alles auf Google und Co. nachlesen, aber es sind genau diese kleinen Besonderheiten die uns damals mit unserem Home Computer verbanden. Bei meinem CPC war es immer das leise Knacken des Lautsprechers, dass ab und zu beim Einschalten des Computer ertönte. Auch sehr interessant, dass das Herzstück von TRS-80 und CPC ein Z80 ist. Danke für diesen tollen Artikel!

    Gerrit Ludwig