Wie ich durch einen Tweet im Keller Erinnerungen erweckt habe

Avatar von Alexander Strellen

Es muss vor 29 oder 28 Jahren gewesen sein. Meine Freunde und ich hatten einen kleinen Computerklub gegründet. Wir waren sechs Mitglieder. Als Arbeitsgerät hatten wir den C-64 und C-128 von Commodore im Einsatz. Die Plattform MS-DOS hätte uns zwar auch interessiert, diese Hardware konnte sich aber niemand von uns leisten. Mit 14 oder 15 Jahren waren wir noch Schüler ohne Einkommen.

Die Nachmittage mit dem Klub verbrachten wir mit Pizza, Cola, später Bier und natürlich Computerspielen. Werbung für unseren Klub verbreiteten wird durch die Schülerzeitung. Wir gingen auch alle auf dieselbe Schule. Ein führendes Mitglied in unserem Klub war Redakteur bei der Schülerzeitschrift. Dank ihm gab es dort eine Computerecke. 

Die Schülerzeitschrift reichte uns aber nicht. Wir wollten mehr Aufmerksamkeit bekommen. Eine Klubdiskette mit Public-Domain-Software, Demos und eigenen Inhalten sollte diese Aufmerksamkeit schaffen. Diese wollten wir dann an die Menge verteilen. 

Die eigenen Inhalte bestanden hauptsächlich aus intelligenten Texten, die automatisch abgespielt wurden. Begleitet von tollen Chip-Tune Klängen, hervorgehoben durch witzige Fonts und Effekte wie springende Wörter. Ok, ich bin ehrlich. Die eigenen Inhalte waren in Wirklichkeit geistiger Unsinn, den wir damals cool fanden. Habe ich schon gesagt, dass wir 14 oder 15 Jahre alt waren?

Aber wir hatten auf der Diskette Spiele wie der „Calippo Fresser“. Kennt bestimmt jeder noch.

Jetzt sind wir wieder im Jahr 2020 und es passierte Folgendes …

Ein Tweet weckt Erinnerung

Einer meiner Freunde sendet eine Nachricht über Twitter mit einem Screenshot einer dieser Klubdisketten von damals. Ich antworte ihm, dass ich auch noch eine dieser Klubdisketten hätte. Wenn der Inhalt noch lesbar ist, würde ich ihm die schicken. Mein alter C-64 und die Floppy lagern im Keller. Ich muss die Geräte nur aufbauen.

Auf meine Worte folgen Taten. Der C-64 kommt aus dem Keller, wird entstaubt, aufgebaut und angeschlossen. Tatsächlich existiert an meinem modernen TV noch ein Anschluss für ein Antennenkabel. Die notwendige Floppy ist auch noch schnell aufgebaut.

Ich schalte beide Geräte ein und auf dem TV erscheint das blaue Bild vom C-64. Der Cursor wartet auf Eingaben. Sehr gut. Die Klubdiskette wird in die Floppy eingelegt und ich versuche das Inhaltsverzeichnis einzulesen. Die Floppy läuft an, die LED leuchtet grün, blinkt dann aber nur noch rot und ich bekomme eine Fehlermeldung. Zugriff auf die Diskette nicht möglich. Mist.

Suche nach Fehlern und Alternativen

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Floppy defekt oder Diskette defekt. In der alten Diskettenbox sind noch weitere Disketten. Lesbar ist aber keine davon. Ich habe sogar noch OVP-Leerdisketten. Diese kann ich aber nicht mal formatieren. Das ganze Zeug ist für lange Zeit widrigen Temperaturen im Keller und auf dem Dachboden ausgesetzt gewesen. Für die empfindlichen Disketten denkbar ungeeignete Bedingungen. 

Ich schraube mal die Floppy auf, reinige den Lesekopf und schau, ob sich die Mechanik leicht bewegen lässt. Das sieht alles gut aus. Ein paar Tropfen Öl können trotzdem nicht schaden. Hilft aber alles nicht. Die Disketten kann ich nicht lesen.

Der viereinhalb Jahre alte Sohn fragt sich inzwischen, was das für komische Geräte sind und was der Papa damit macht. Ich vertröste ihn auf später. Das treibt die Spannung in die Höhe.

Ein guter Freund, der sich deutlich besser mit dem Thema auskennt, gibt mir die oben genannten Tipps zur Fehlersuche und bringt mich zeitgleich auf die Idee, ein SD2IEC zu kaufen. Dann kann ich wenigstens Dateien vom PC auf eine SD-Karte kopieren und habe einen Ersatz für die Floppy. 

SD2IEC in Aktion. (Bild: Alexander Strellen)
SD2IEC in Aktion. (Bild: Alexander Strellen)

Die Klubdiskette sende ich mit der Post zu meinem Freund. Er hat noch eine funktionierende Floppy im Besitz und probiert sein Glück. Tatsächlich kann er ein paar Daten von der Diskette lesen. Hat aber auch etliche Lesefehler. Zumindest ein Teilerfolg. Mit der Diskette ist er erst mal glücklich.

Ich für meinen Teil bringe die Floppy wieder in den Keller. Die Zeit der Disketten für den C-64 ist eh abgelaufen. Neue Disketten werden meines Wissens nicht produziert und auf dem Kleinanzeigenmarkt gibt es welche für horrende Preise. Ohne Garantie, dass diese noch lesbar sind. Mit meinem SD2IEC werde ich mich jetzt mal vertraut machen. Für den Wiedereinstieg ist das eine interessante, günstige Basis.

Auf der mitgelieferten SD-Karte sind erfreulicherweise ein paar alte Spiele dabei. Also zuerst mal „The Great Giana Sisters“ oder „Space Taxi“ starten und Spaß haben. 

Bildstörungen sind Kleinigkeiten

Tatsächlich funktioniert auch fast alles ohne Probleme. Sogar der Joystick Competition Pro arbeitet noch zuverlässig. Das Bild macht aber Probleme. Ab und zu verliert der TV für ein paar Sekunden das Bildsignal. Das ist beim Spielen natürlich störend.

Hier kann mir aber wieder mein Freund aushelfen. Er ist so nett und lötet mir ein passendes Kabel für den S-Video-Eingang am TV. Dann muss ich das Antennenkabel nicht mehr benutzen. Nach ein paar Tagen kommt das Kabel mit der Post und jetzt funktioniert wirklich alles tadellos. Ich werde mir jetzt noch ein neues Netzteil besorgen. Wäre schade, wenn das alte irgendwann kaputtgeht und beim Ausfall vielleicht durch einen Kurzschluss noch die Elektrik vom C-64 beschädigt. Im Moment zeigt es aber noch keine Ausfallerscheinungen.

Der viereinhalb Jahre alte Nachwuchs hat inzwischen auch Freude am Abenteuer von Giana und ihrer Schwester gefunden. Versteht aber noch nicht wirklich, was da am Bildschirm passiert und wie er das Geschehen beeinflussen kann.

… und dann kauft der ein Spiel?

Jetzt ist aber was anderes passiert. Ich habe mir doch tatsächlich ein neues Spiel für den C-64 gekauft. Vor wenigen Wochen ist Zeta Wing erschienen. Ein SHMUP mit vertikalem Scrolling, entwickelt von Sarah Jane Avory. Das Spiel gibt es zu einem fairen Preis bei itch.io zum Download. Ich hatte mir den Trailer angeschaut und sofort gedacht, das könnte mir gefallen.

https://youtu.be/6haepsZSMsg

Die .D64 Datei ist schnell runtergeladen und nach einem ersten Test im Emulator schnell auf die SD-Karte kopiert. Das Spiel läuft ohne Probleme mit dem SD2IEC als Floppy.

Ich halte also fest: Während sich alle anderen streiten, ob die PS5 oder die Xbox Series X jetzt die bessere Konsole ist, habe ich wieder Spaß mit meinem C-64. 

Nachtrag: 

Inzwischen ist auch das neue Netzteil eingetroffen. Ich hab mich für ein Modell von www.c64psu.com entschieden. Im Internet gibt es viele Anleitungen für Bastler und es gibt auch mehrere Händler, die ein fertig gebautes Netzteil verkaufen. Vieles davon klingt dubios und mit meinen mangelhaften Kenntnissen in Elektrotechnik sehe ich von einem Selbstbau ab. Über das C64PSU hatte ich in einem Forum überwiegend Gutes gelesen und probiere es jetzt einfach mal aus. Im Moment funktioniert der C-64 damit und ich sehe keinen Grund, jemanden davon abzuraten.

Andre

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6 Antworten zu „Wie ich durch einen Tweet im Keller Erinnerungen erweckt habe“

  1. Avatar von Michael

    Es hat mir sehr viel Freude bereitet, deinen Artikel zu lesen, Alexander 🙂 Bewundernswert, wie du es geschafft hast, deinen alten C64 wieder ans Laufen zu kriegen und vor allem, dass du nicht aufgegeben hast, bis er wieder lief!

    1. Avatar von Alex

      Als ich erfahren hatte, das immer noch neue Software für den C64 erscheint, hatte ich die Motivation dafür gefunden. Das System lebt noch immer und das ist super 🙂

  2. Avatar von Tim Bartz

    Hallo Alexander,
    einen sehr schönen Beitrag hast du da geschrieben. Mir ist es witzigerweise ganz ähnlich gegangen. Nur das es bei mir kein Tweet, sondern der Kauf des „The64“ vor ca. 1 1/2 Jahren war. Obwohl dieser dem original Brotkasten optisch schon ziemlich nahe kommt, fehlte mir doch irgendwas. Aus diesem Grund habe ich dann meinen C64 (inkl. Floppy) bei meinen Eltern vom Dachboden geholt. Dabei lagen auch noch mein alter Joystick und jede Menge Disketten. Ich habe ihn dann auch angeschlossen und eine Diskette eingelegt. Im Gegensatz zu dir, funktionierte dann aber alles auf Anhieb. Als erstes Spiele habe ich Ultima IV geladen (Ehrensache). Nach langer Zeit noch Mal das Rattern meiner guten, alten Floppy zu hören, war einfach fantastisch…
    ….das war der Beginn meiner Retro-Sammel-Leidenschaft (ich habe übrigens auch auf dieser Plattform einen Beitrag dazu geschrieben).

    Fun Fact: Es gibt noch eine Gemeinsamkeit. Mein viereinhalb Jahre alter Sohn, spielt gerne mir mir mal eine Runde Archon.

    Ich wünsche dir noch viel Spaß mit deinem Brotkasten und bleib gesund.

  3. Avatar von André Eymann

    Eine schöne „Erinnerung“ Alexander. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Moment des „Einschaltens“ des C64 nach all den Jahren eine Menge getriggert hat. Wenn man nach so langer Zeit den blauen Bildschirm wiedersieht, dann löst das ganz sicher Gefühle aus. So eine Situation hatte ich gegen Ende der 1990er Jahre mit einem auf dem Flohmarkt erstandenen Atari 2600 Jr.

    Als ich „Donkey Kong“ nach etlichen Jahren zum ersten Mal wieder spielte war es um mich geschehen. Es war der Startschuss für Videospielgeschichten.de und meine ungebrochene Leidenschaft für Videospiele.

    Danke dass Du diese Momente mit uns geteilt hast und möge ein Funken der „Retroliebe“ auf deinen Sohn übersprungen sein 🙂

    1. Avatar von Alex

      Ja, es hat mich wieder gepackt. Mein Sohn hat jetzt Bubble Bobble für sich entdeckt. Ich muss noch einen zweiten Joystick kaufen und dann kann ich das mit ihm zusammen spielen. Das alte Gerät wird jetzt immer häufiger benutzt und hat seinen festen Platz zwischen den modernen Geräten gefunden. Am Anfang war ich der Meinung, die alten Titel im Emulator spielen macht doch keinen Unterschied. Auf der Original Hardware ist aber doch noch was anderes.

      Andre
      1. Avatar von André Eymann

        Auf Original-Hardware spielen ist auf eine magische Weise immer noch unerreicht. Zumindest wenn man die Original-Geräte von damals noch kennt. Den Emulationen verdanken wir aber auf jeden Fall den Erhalt der Spiele und diese eben überhaupt noch spielen zu können. Irgendwann wird leider nur noch diese Möglichkeit übrig bleiben. Bis dahin versuche ich immer soviel authentisches Erlebnis wie möglich möglich zu machen 😉