Atari History, Teil 5 – Drei Tage mit Pelé in Hamburg

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Es ist der 4. Mai 1981. An einem grauen und kalten Montagmorgen, typisches Wetter für diese Jahreszeit, versammelten sich zahlreiche Besucher am Hamburger Flughafen und beobachten aufmerksam die ankommenden Passagiere.

Warum aber die ganze Aufregung? Diese Frage ist schnell beantwortet, der weltberühmte Fußballspieler Edson Arantes do Nascimento, besser bekannt unter dem Namen „Pelé“, wurde dort mit großer Spannung erwartet. Nach seiner Ankunft um 13:20 Uhr begann bei den Hanseaten ein dreitägiges Pelé-Fieber.

Diesmal stand aber nicht „König Fußball“ im Vordergrund. Seine Reise nach Europa galt vielmehr der ersten Sportlizenz in der Geschichte der Videospiele: Pelé’s Soccer von Atari. Die Popularität des brasilianischen Superstars sollte das Spielmodul Nr. 35 zu einem neuen Verkaufsschlager der VCS-Konsole machen.

Auch für Klaus Ollmann, dem damaligen Manager von Atari Deutschland, war der Besuch von Pelé ein Meilenstein in der noch jungen Firmenhistorie. Nach so langer Zeit über dieses Ereignis zu berichten, wäre eigentlich aussichtslos, hätte nicht Herr Ollmann erneut sein privates Archiv geöffnet und uns Dokumente und Fotos exklusiv zur Verfügung gestellt. Dank seiner tatkräftigen Unterstützung sind wir nun in der Lage, den Aufenthalt von Pelé in Hamburg bestens rekonstruieren zu können.

Nachdem Pelé seine Kariere 1977 beendete, wollte man seine Popularität weiter nutzen und vereinbarte einen Vertrag, mit dem er weltweit exklusiv für ATARI Promotion machte. Deshalb kam er im Mai 1981 auf meine Anforderung zur Veröffentlichung von Pelé’s Soccer nach Hamburg.

Klaus Ollmann, 2011

Den Feierabend verändern

„Die Telespiel-Kassette Pelé’s Soccer wird bei tausenden von Familien den Feierabend verändern“ – so lautete das Versprechen aus der Werbung. Die Titelseite des Atari-Club-Magazins vom Februar 1981 kündigte den bevorstehenden Besuch von Pelé ebenfalls groß an.

Von der Titelseite des Atari Club Magazins aus dem Februar 1981. (Bild: Atari)
Von der Titelseite des Atari-Club-Magazins aus dem Februar 1981. (Bild: Atari)

Die Erfolge des inzwischen siebzigjährigen Pelé liegen nun schon eine ganze Weile zurück. Beginnen wir also deshalb zuerst mit seinen grandiosen sportlichen Leistungen. Sein Titel „Bester Fußballspieler aller Zeiten“ kommt nicht von ungefähr. Die FIFA ernannte Pelé 1999 offiziell zum „Weltfußballer des 20. Jahrhunderts“ und im gleichen Jahr wurde er durch das IOC zum „Sportler des Jahrhunderts“ gewählt. Vor seinem Erfolg muss selbst der „Kaiser“ Franz Beckenbauer den Hut ziehen.

Mit Brasilien gewann er insgesamt 3 x die Weltmeisterschaft, das erste Mal 1958 im Alter von nur siebzehn Jahren. Bis heute gilt er als der jüngste Fußball-Weltmeister aller Zeiten. Seit 40 Jahren führt er unangefochten mit 77 Treffern die Tabelle der brasilianischen Rekordtorschützen an. 77 Tore bei 92 Einsätzen. Zum Vergleich: Platz 2 hält Ronaldo mit 68 Toren bei 98 Einsätzen.

Damit aber nicht genug. Für seinen Heimatverein FC Santos schoß er in 1.114 Spielen insgesamt 1.088 Tore. Die unzähligen Meistertitel und Trophäen möchte ich hier im Detail erst gar nicht aufzählen. 1977 beendete Pelé die aktive Laufbahn bei Cosmos New York. Zur gleichen Zeit spielte dort Franz Beckenbauer seine erste Saison. Daraus entstand eine Freundschaft, die bis heute anhält.

Mai 1981: Klaus Ollmann und Pelé auf dem Hamburger Flughafen in Fuhlsbüttel. (Bild: Klaus Ollmann)
Mai 1981: Klaus Ollmann und Pelé auf dem Hamburger Flughafen in Fuhlsbüttel. (Bild: Klaus Ollmann)

Pelé in der Hamburger Atari-Niederlassung

Nicht ganz ohne Stolz präsentieren wir jetzt einige bisher unveröffentlichte Fotos und Originalschreiben der ehemaligen Atari-Niederlassung, die das Großereignis von 1981 optimal dokumentieren. Durch diese Briefe erhält man einen direkten Einblick in Ablauf und Organisation der gesamten Promotionstour. Eröffnen wir unseren Beitrag mit einer kurzen Einleitung und der Agenda für den dreitägigen Aufenthalt.

Einleitungsschreiben von Klaus Ollmann für den Besuch von Pelé im Mai 1981. (Bild: Klaus Ollmann)
Einleitungsschreiben von Klaus Ollmann für den Besuch von Pelé im Mai 1981. (Bild: Klaus Ollmann)
Agenda für den 4. bis 7. Mai 1981 von Klaus Ollmann für Pelés Besuch in Hamburg. (Bild: Klaus Ollmann)
Agenda für den 4. bis 7. Mai 1981 von Klaus Ollmann für Pelés Besuch in Hamburg. (Bild: Klaus Ollmann)

Vom Flughafen fuhr Pelé zusammen mit Herrn Ollmann geradewegs in das neu eröffnete Atari-Verwaltungsgebäude. Den Mitarbeitern sah man die freudige Aufregung über den Besuch von Pelé deutlich ins Gesicht geschrieben. Wann kommt schon ein weltbekannter Fußballer an den eigenen Arbeitsplatz?

Gruppenbild in der Hamburger Verkaufszentrale von Atari. (Bild: Klaus Ollmann)
Gruppenbild in der Hamburger Verkaufszentrale von Atari. (Bild: Klaus Ollmann)
Klaus Ollmann im Gespräch mit Pelé. (Bild: Klaus Ollmann)
Klaus Ollmann im Gespräch mit Pelé. (Bild: Klaus Ollmann)

Ein interkontinentales Treffen an der Alster

Anschließend ging es weiter ins Hotel Intercontinental, das direkt an der Hamburger Außenalster gelegen ist. Dort erwartete Pelé eine ganz besondere Überraschung. Über die organisatorischen Hindernisse im Vorfeld erzählt uns Herr Ollmann:

„Zu diesem Zeitpunkt spielte Franz Beckenbauer schon beim Hamburger Fußballclub HSV, wo er auch seine fußballerische Laufbahn beendete. Pelé äußerte im Vorfeld seines Besuchs in Hamburg den Wunsch, Franz zu treffen. Dieses Meeting sollte ich kurzfristig arrangieren.

Aber wo er wohnte und welche Telefonnummer er hatte, war mir völlig unklar, und so verbrachten meine Lebensgefährtin und ich einen langen Abend in meinem Fachwerkhaus in Jork damit, über Wege nachzugrübeln, an Franz heran zu kommen. Alle Ansätze wie Telefonauskunft, Einwohnermeldeamt, HSV usw. brachten nichts ein. Eine Mauer des Schweigens umgab ihn.

Dann fiel uns ein, wo er in einer Seitenstraße der Rothenbaumchaussee wohnte und wir schickten jemand einfach zu seiner Adresse, um zu klingeln und ihn zu bitten, mich anzurufen. Er kannte mich aus früheren Begegnungen und so klingelte tatsächlich Minuten später mein Telefon und ich konnte das Treffen im Hotel Intercontinental arrangieren. Dieses Treffen war natürlich ein Fest für die Hamburger Journalisten. Und wir drei standen minutenlang im Blitzlichtgewitter, bevor sich die beiden endlich zu ihrem Privatplausch zurückziehen konnten.“

Zwei der besten Fußballspieler aller Zeiten zusammen mit Herrn Ollmann, ganz privat im Hamburger Hotel Intercontinental. (Bild: Klaus Ollmann)
Zwei der besten Fußballspieler aller Zeiten zusammen mit Herrn Ollmann, ganz privat im Hamburger Hotel Intercontinental. (Bild: Klaus Ollmann)

Tatsächlich kam es damals zu einem gemeinsamen Spiel der beiden Fußballprofis auf dem Atari VCS. Obwohl Atari das Ergebnis absichtlich nicht veröffentlichte, haben wir bei unserer Recherche erfahren, dass Pelé das Spiel gegen Franz Beckenbauer mit 1:0 gewonnen hat.

Am nächsten Tag standen zwei Events auf der Tagesordnung. Eine großangelegte Pressekonferenz im Hotel Intercontinental und ein Auftritt im Hamburger Alsterhaus mit Autogrammstunde.

Atari Pressekonferenz am 5. Mai 1981 in Hamburg mit Pelé und Klaus Ollmann. (Bild: Klaus Ollmann)
Atari-Pressekonferenz am 5. Mai 1981 in Hamburg mit Pelé und Klaus Ollmann. (Bild: Klaus Ollmann)

„Dienstag 05.05.1981, 12:00 Uhr – Hotel Intercontinental: Sekt wird gereicht, ein üppiges Büfet mit kalten und warmen Speisen steht bereit, der Saal ist mit frischen Blumen dekoriert, überall laufen Fernseher mit Videospielen. Die Firma Atari präsentiert erstmals in Deutschland ihr neues Pelé-Fußball. 12:30 Uhr – Klaus Ollmann, Deutschland-Chef von Atari erhebt sich vom Stuhl, schaut zur Tür „Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir zusammen Pelé, ein Star und Freund.“ Pelé erscheint im Eingang und hätten die ganzen Fernseher im Raum nicht „piep, päng und pong“ gemacht, die Stimmung wäre so feierlich gewesen, wie bei einem Auftritt von Herrn Karajan in Salzburg …“

So schreibt das Hamburger Abendblatt in seiner Ausgabe vom 06.05.1981 und vermittelt uns einen fühlbaren Eindruck von der Veranstaltung. Zuvor fand im Alsterhaus ein zusätzliches Pelé’s Soccer-Telespiel-Turnier mit ca. 250 Teilnehmern statt, die drei Sieger Fasil Sakalli, Michael Baehr und Ulli Becker-Steinberger wurden auf der Pressekonferenz bei der Preisübergabe später noch persönlich geehrt.

Preisübergabe an die Gewinner des Hamburger Telespiel-Turniers mit Pelé. (Bild: Klaus Ollmann)
Preisübergabe an die Gewinner des Hamburger Telespiel-Turniers mit Pelé. (Bild: Klaus Ollmann)
Mit brauner Lederjacke, rotem Rollkragenpullover und Jeans stellte Pelé sich den Fragen der Journalisten. (Bild: Klaus Ollmann)
Mit brauner Lederjacke, rotem Rollkragenpullover und Jeans stellte Pelé sich den Fragen der Journalisten. (Bild: Klaus Ollmann)
Autogrammkarte mit der Unterschrift von Pelé. (Bild: Atari)
Autogrammkarte mit der Unterschrift von Pelé. (Bild: Atari)

Gut eine Stunde mussten die Fans mindestens warten, um bei der Autogrammstunde im Alsterhaus an eine Unterschrift zu kommen. Zwischendurch wurden unzählige Fragen gestellt, wer dieses Jahr der Deutsche Meister wird oder welches Land die nächste Weltmeisterschaft gewinnt. Pelé lächelte und wusste auf alles eine Antwort. „Der HSV wird es schwer haben, weil drei Stürmer fehlen“ – „natürlich Brasilien, das wäre mir am liebsten“. Nachdem er rund tausendmal seinen Namen geschrieben hatte, endete die Autogrammstunde im Hamburger Alsterhaus um 17:10 Uhr.

Danach sah sich Pelé auf eigenen Wunsch das Fußballspiel im Volksparkstadium an. Hier spielte um 20:00 Uhr der HSV gegen die UDSSR. Dementsprechend verzögerte sich das geplante Abendessen im Anglo-German-Club auf 22:30 Uhr.

Pelé’s Soccer – Das Videospiel

Das Runde muss in das Eckige? Von der schlichten Grafik des Spiels sollte man sich nicht täuschen lassen, Pelé’s Soccer hatte 1981 trotz der grobschlächtigen Pixel einige technische Innovationen zu bieten.

Pelé’s Soccer: welches der sechs farbigen Pixel auf dem Feld Pelé darstellt, bleibt 1981 noch der Fantasie des Spielers überlassen. (Bild: Atari)
Pelé’s Soccer: welches der sechs farbigen Pixel auf dem Feld Pelé darstellt, bleibt 1981 noch der Fantasie des Spielers überlassen. (Bild: Atari)

Es war die erste VCS-Kassette mit Vertical-Scrolling. Das Spiel präsentierte nach jedem erfolgreichen Treffer einen sogenannten „Celebration-Screen“. Dieses Feature ist bis heute ein fester Bestandteil von Sportspielen. Allerdings wurde das Modul mit der Seriennummer CX2616 nicht extra neu programmiert, sondern erschien bereits ein Jahr früher unter dem Namen Championship Soccer.

Dass Pelé bei der Entwicklung des Spiels selbst mitgeholfen hat, ist demzufolge wohl nur eine verkaufsfördernde Erfindung der Atari-Vertriebsabteilung. Eigentlich war Steve Wright für Pelé’s Soccer allein verantwortlich. Er rief später auch den bekannten VCS-Grusel-Klassiker Haunted House ins Leben.

Championship Soccer von Atari aus 1980. (Bild: Atari)
Championship Soccer von Atari aus 1980. (Bild: Atari)
Pelé’s Soccer von Atari aus 1981. (Bild: Atari)
Pelé’s Soccer von Atari aus 1981. (Bild: Atari)

Zwei unterschiedliche Verpackungen, gleicher Inhalt. Die Seriennummer CX2616 verrät ebenfalls, dass die beiden Spiele Championship Soccer und Pelé’s Soccer auf den gleichen Programmcode zurückgreifen.

Ich begleitete Pelé und seinen Manager auf einem morgendlichen Bummel durch die Hamburger City. Er kaufte sich einen Anzug bei Wormland, damals einem Herrenausstatter am Jungfernstieg. Die Verkäufer sind völlig durchgedreht und haben sich natürlich Autogramme geben lassen.

Klaus Ollmann, 2011

Das Rahmenprogramm am dritten Tag galt hauptsächlich der jugendlichen Zielgruppe. Pelé besuchte zuerst ein Hamburger Kinderkrankenhaus und später das Gymnasium Lerchenfeld, um während des Sportunterrichts mit den Schülern über Fußball und Videospiele zu fachsimpeln. Nachmittags folgte wie geplant ein Termin im Einzelhandel bei der Firma Brinkmann. Mit einer weiteren Autogrammstunde wurde die Promotionstour in Deutschland offiziell beendet.

Zum Abschluss kam der ehemalige brasilianische Fußballnationalspieler nach Jork. Den letzten Abend verbrachte er mit seinem Geschäftsfreund Klaus Ollmann gemütlich im kleinen Freundeskreis, bevor es am nächsten Tag mit dem Flugzeug nach Brüssel weiterging.

Pelé signiert einen Fußball. (Bild: Klaus Ollmann)
Pelé signiert einen Fußball. (Bild: Klaus Ollmann)
Sein Brief zum Dank an Herrn Ollmann zeigt, dass Pelé nicht nur ein begnadeter Fußballspieler ist, sondern auch eine große Persönlichkeit. (Bild: Klaus Ollmann)
Sein Brief zum Dank an Herrn Ollmann zeigt, dass Pelé nicht nur ein begnadeter Fußballspieler ist, sondern auch eine große Persönlichkeit. (Bild: Klaus Ollmann)
Klaus Ollmann sendet anschließend noch einen Statusbericht an die amerikanische Atari Zentrale in New York. (Bild: Klaus Ollmann)
Klaus Ollmann sendet anschließend noch einen Statusbericht an die amerikanische Atari-Zentrale in New York. (Bild: Klaus Ollmann)
Klaus Ollmann und Pelé. (Bild: Klaus Ollmann)
Klaus Ollmann und Pelé. (Bild: Klaus Ollmann)

Über 30 Jahre später, in einer Welt von Sony-, Microsoft- und Nintendo-Konsolen, mag der einstige Besuch von Pelé nicht mehr besonders wichtig erscheinen. Dennoch war Pelé’s Soccer die erste Symbiose zwischen Videospiel und prominenter Sportlegende.

Der Titel steht ganz am Anfang einer langen Reihe von Lizenzprodukten und machte spätere Programme wie die Tony Hawks Pro Skater-Serie, Tiger Woods PGA Tour oder Wayne Gretzky NHL Hockey überhaupt erst möglich.

Dass der damals berühmteste aller Fußballspieler für Atari nach Deutschland kam, ist also sicherlich ein bedeutsamer Schritt in der Geschichte der Videospiele. Von da an sollte das neuartige Medium auch mit ganz anderen Branchen immer weiter verschmelzen.

Dieser Beitrag gehört zur Atari-History-Reihe bei Videospielgeschichten.

Dirk Bockstegers

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Eine Antwort zu „Atari History, Teil 5 – Drei Tage mit Pelé in Hamburg“

  1. Avatar von atari1980
    atari1980

    Bin total begeistert von dieser authentischen und so schön bebilderten Story! Wahnsinn was Herr Ollmann da für die Nachwelt ausgegraben hat. So eine Art von Berichterstattung aus den goldenen Videospielzeiten findet man sonst nirgendwo. Man spürt in diesem Artikel förmlich die Spannung die damals in der Luft gelegen haben muss. Und dass Pele für Atari Werbung gemacht hatte wusste ich gar nicht. Bisher hatte ich immer angenommen, dass einfach nur sein Bild auf die Verpackung gedruckt wurde. Aber da war ja viel mehr dahinter. Supertoll!