Through the Darkest of Times – Verdammt viel richtig gemacht

Avatar von Michèle Matetschk

Am 30. Januar, pünktlich zum 87. Jahrestag der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, veröffentlicht das Indie Game Studio Paintbucket Through the Darkest of Times. Ein Strategiespiel, in welchem die Spieler*innen eine Widerstandsgruppe zur Zeit des Nationalsozialismus anführen.

Wie geht das?

Das rundenbasierte Spiel beschäftigt sich in vier Kapiteln mit den zentralen Zeitabschnitten des nationalsozialistischen Regimes: die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, dem Höhepunkt der Macht im Jahr 1936 mit den Olympischen Spielen in Berlin, dem 2. Weltkrieg während der Jahre 1940/1941 und schließlich dem Zerfall des Reiches mit den letzten Kriegstagen und der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. Zu Beginn des Spiels muss ein Charakter gewählt werden, und an dieser Stelle gleich das erste Lob: zur Auswahl stehen fiktive, aber an die Realität angelehnte Charaktere, Männer und Frauen gleichermaßen, die beispielhafte Biografien vermitteln. Schon die Auswahl des Charakters kann also dazu führen, dass Spieler*innen sich damit auseinandersetzen, wo der Widerstand eigentlich herkam.  

Eine Runde des Spiels gliedert sich in eine Konversation der Gruppe, während der man jüngste politische Ereignisse auswertet und die privaten Probleme der Mitglieder kennenlernt; und die Phase, in der man Aktionen plant, dabei die Moral der Gruppe und die Gestapo im Blick behalten muss.

Dabei muss man als Spieler*in viele Entscheidungen treffen, kleine und große. Oftmals geht es darum, das moralisch richtige Handeln auf der einen und das sicherste Handeln auf der anderen Seite abzuwägen und sich selbst und seine Gruppe so gut es geht zu schützen. Man wird konfrontiert mit Verrat und Geldsorgen, muss entscheiden, wem man wann vertraut, und auch Konflikte innerhalb der Gruppe austragen und lösen, wenn möglich.

Ich habe das Spiel sofort nach dem Release gekauft und an einem Abend durchgespielt. Das ist untypisch für mich, denn normalerweise ist mein Geduldsfaden bei Strategiespielen ziemlich kurz. Nach dem Spiel war ich nicht nur ein kleines bisschen sprachlos, sondern auch sehr überzeugt davon, dass dort einiges richtig gut gemacht wurde.

Warum?

Erstens, Through the Darkest of Times berührt. Und das nicht nur einmal, sondern verdammt oft. In Zwischensequenzen und Gesprächen, mit Musik, mit dem, was visuell geboten wird. Das Spiel schafft es nicht nur, immer schwerer, sondern auch immer beklemmender zu werden. Gerade das Unheil ankündende Türklopfen ist mir in Erinnerung geblieben – und hat Gänsehaut beschert.

Dabei hat das Spiel mich an keiner Stelle überfordert, und soviel kann ich sagen: ich bin wahnsinnig nah am Wasser gebaut, doch ich konnte es durchspielen und es war okay für mich. Das ist wirklich ein Drahtseilakt, der den Köpfen hinterm Spiel da gelungen ist. Meiner Meinung nach gelang das durch eine kluge Auswahl dessen, was man zeigt, und dessen, worüber man lediglich spricht. So begegnet man der Köpenicker Blutwoche in ziemlicher Deutlichkeit. Als Spieler*in erfährt man von Konzentrationslagern, man spricht darüber und kann es in Zeitungen lesen. Aber spielen kann man nicht in einem Konzentrationslager. Und das ist auch gut so. Durch diese klare Grenze gelingt es, Dinge zu zeigen, ohne sie zu beschönigen.

Zweitens, Through the Darkest of Times ermöglicht es einem grundsätzlich, den Verlauf des Spiels zu beeinflussen. Damit berührt es uns genau da, wo es wehtut. Die Frage ist: „Was hätte ich gemacht?“. Sicher, das alles passiert im Rahmen eines Computerspiels, vor dem man in einem warmen Zimmer sitzt, und das man zu gegebener Zeit auch beenden kann. Trotzdem glaube ich, dass wir einiges aus diesen Mechanismen lernen können. Es ist nämlich nicht leicht, halbwegs heil durch das Spiel zu kommen, geschweige denn den Verlauf der Geschichte positiv zu beeinflussen oder gar grundlegend zu ändern.

Das mag für manche frustrierend sein, ist an dieser Stelle aber genau richtig. Durch die Mechanismen, die einen dazu führen, auch die Moral der Gruppe im Blick zu haben und doch gleichzeitig dafür zu sorgen, dass nicht ständig jemand erwischt wird, muss man die Entscheidungen sehr sorgsam treffen. Schon das Risiko, irgendwo Spenden aufzutreiben oder Papier zu besorgen, kann unermesslich hoch sein. Und diese Botschaft zu vermitteln, ist zentral. Through the Darkest of Times hat das hier sehr eindrücklich geschafft.

Drittens, Through the Darkest of Times besticht durch eine wahnsinnige Liebe zu kleinen Details, die das Spiel so fesselnd machen. Die optische Gestaltung des Spiels ist sicherlich Geschmackssache, ich persönlich finde sie sehr gelungen und mag den zurückhaltenden Zeichenstil und die sehr eindringliche Farbauswahl (Schwarz, Rot, Grau- und Weißtöne, und damit durchaus mehrdeutig). Spielt man sonst in sehr aufwendig gestalteten und realistisch-bunten Spielwelten, ist das vermutlich ungewohnt, zum Thema des Spiels aber durchaus passend. Daneben bin ich überzeugt, dass das Spiel mit seiner Aufmachung und den Mechanismen und Strategien nicht nur aus Sicht einer gelegenheitsspielenden Historikerin spannend ist.

Um mir eine zweite, fachfremde Meinung einzuholen, habe ich meinen Freund (verbringt viele Stunden in der Woche vor dem PC und mit Spielen unterschiedlichster Genres) mal ein paar Stunden mit dem Spiel allein gelassen. Als ich das Zimmer wieder betrat, hatte er nach eigener Aussage nicht nur viel über den Nationalsozialismus gelernt (Bildungsauftrag erfüllt!), sondern war, wie ich auch, sehr gefesselt und überzeugt. Für eine repräsentative Studie reicht das jetzt nicht, aber es bestätigt meine vage Idee, und das war alles, was ich wollte.

Wie lässt sich das Ganze jetzt zusammenfassen?

Through the Darkest of Times ist ein gutes und wichtiges Spiel. Der gut durchdachte und sensible Umgang mit grausamer Geschichte dürfte hierbei fast ein Alleinstellungsmerkmal sein. Es ist spannend und emotional, überwältigt dabei aber nicht. Dabei spricht es eine große Zielgruppe an und hat das Potenzial, überall zu überzeugen. Seit über einer Woche laufe ich herum und erzähle allen, die es hören wollen – oder auch nicht – vom Spiel und warum ich so begeistert bin.

Wenn ihr also offen seid für ernsthafte Spiele, die fordern und bilden, dabei trotzdem spannend bleiben und gut gemacht sind; wenn ihr wissen wollt, wie man schwierige Themen über Games gut vermitteln kann oder wenn ihr noch ein bisschen was lernen wollt über den Alltag im Nationalsozialismus, dann schaut euch Through the Darkest of Times unbedingt mal an.

Was denkt ihr? Ist es richtig, den Nationalsozialismus spielbar zu machen oder ist das für euch ein Tabu? Was haltet ihr davon, dass der Lauf der Geschichte verändert werden kann? Habt ihr Through the Darkest of Times vielleicht schon selbst gespielt oder bewusst nicht? Ich freu mich, eure Meinung zu hören.

Mehr erfahren?

Solltet ihr jetzt noch mehr über das Spiel erfahren wollen, könnt ihr euch unter folgendem Link bei Paintbucket selbst informieren.

Außerdem ist vielleicht das ausführliche Interview mit den Entwicklern Jörg Friedrich & Sebastian Schulz von André Eymann (hier im Blog) für euch interessant.

Wenn ihr euch genauer über zivilen Widerstand im Nationalsozialismus informieren wollt, könnt ihr das zum Beispiel über die folgenden Verweise tun:

TobiStephan Ricken

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6 Antworten zu „Through the Darkest of Times – Verdammt viel richtig gemacht“

  1. Avatar von Tobi

    Danke Michèle für deinen Beitrag, in dem du sehr gut rüberbringst, dass diese, wie auch andere schreckliche Epochen kein Tabuthema in Spielen sein dürfen – selbstverständlich ohne irgendwelche Sch#%!* zu verherrlichen, zu banalisieren, oder zu verschönern.
    Wie es klingt, und das hast du sehr gut beschrieben, klappt das und die Waage bei TtdoT sehr gut.
    Strategie ist leider so ein Genre, mit dem ich überhaupt nichts anfangen kann und welches mich absolut nicht reizt, aber deiner Beschreibung nach würde ich vielleicht einen Anlauf wagen. Und wenn es nur darum geht, die Entwickler damit zu unterstützen, um weiter solch kritische Spiele zu entwickeln.
    Wobei ich mich jetzt auch entschieden von Nazi-Bash Spielen wie Wolfenstein distanzieren möchte, denn die Gewalt, die dort vorherrscht und man selbst austeilt, ist einfach nur widerlich.
    Ich denke hier gehen die Entwickler von TtdoT einen sehr guten und aufklärenden Weg. Und ja, das sollte unbedingt gefördert werden. Wenn ich sehe, was die Schule unserer zwei
    jüngsten Kids über diese schreckliche Zeit durchnimmt, und was wir privat aufholen, ist das einfach nur traurig und beschämend. Ich will gar nicht wissen, wie planlos Kinder sind, deren Eltern das nicht thematisieren -> Nährboden für schlimme Ideologien.

    Michèle Matetschk
    1. Avatar von Michèle Matetschk

      Hallo Tobi,

      danke für deinen Kommentar und das Lob!

      Ja, das Spiel ist keine leichte Unterhaltung und mir war das Strategie-Genre auch recht unbekannt, ich glaube aber, wenn man weniger mit einer spielerischen Erwaltungshaltung als mit einer Bildungserwartung da rangeht, kann das sehr wertvoll sein.

      Ich gebe dir auch völlig recht, Spiele, die Nazis bashen und gleichzeitig Gewalt promoten sind meiner Meinung nach weniger sinnvoll und können im Zweifelsfall für mehr verwirrung sorgen, als aufzuklären. Schätzungsweise ist das aber auch nicht der Auftrag dieser Spiele. Ob sie vielleicht trotzdem eine Daseinsberechtigung haben bleibt zu diskutieren und ich denke, da kann man Argumente für beide Seiten finden.

      Das ein Spiel wie TtDoT in die Schule gehört finde ich auch. Fraglich ist aber, wie man das einbindet. Und wie man es begleiten kann. Denn das man Kontext und Begleitung liefern muss steht für mich außer Frage. Aber gerade den zivilen Aspekt, denn alltagsgeschichtlichen Aspekt des Spiels und den Punkt, das man die Geschichte im Zweifelsfall ändern kann (und es aber sehr schwer ist) macht es für mich zu einem wertvollen Mittel historischer Bildung.

      Liebe Grüße und eine schöne Woche dir
      Michèle

      Tobi
  2. Avatar von Alex

    Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Spielen, welche einem die Ursachen und Folgen diverser dunkler Epochen in unserer Geschichte zeigen.
    Ganz aktuell fällt mir da „Bury me, my Love“ ein. Dieses Spiel führt einem auf anschauliche Art und Weise als Flüchtling von Syrien nach Europa. Oder „This War of Mine“, wo ich in einem Bürgerkrieg als Zivilist bis zum Waffenstillstand überleben muss.
    „Valiant Hearts: The great war“ hat mir viel über den 1. Weltkrieg beigebracht.
    Es würde mich freuen wenn alle diese Spiele den Weg in Schulen finden und dort als Begleitmaterial für den Unterricht eingesetzt werden. Auf jeden Fall wird uns Geschichte spielerisch näher gebracht.
    Persönlich habe ich „Trough the Darkest of Time“ noch nicht gespielt und es auch in nächster Zeit nicht geplant. Irgendwann werde ich mir das aber sicher anschauen. Im Moment habe ich da keinen Kopf für. Es ist halt kein klassisches Unterhaltungsspiel. Ich sehe so etwas eher als Lern- oder Wissenspiel.
    Es ist wichtig das es solche Spiele gibt. Dafür verdienen diese Spiele und ihre Entwickler auch eine Förderung. Sei es durch den Käufer als Endkunde oder durch öffentliche Töpfe. Als Schüler oder Heranwachsender hätte ich mich über das Spiel gefreut. Es hätte mir sicher mehr über Geschichte beigebracht als der „KZ-Manager“. Diesen fand ich auf einer dieser zahlreichen Disketten vom Tauschhandel auf dem Schulhof. Wobei mich der damals schon als Teenager ziemlich angeekelt hat.

    Michèle MatetschkTobi
    1. Avatar von Michèle Matetschk

      Hallo Alex,

      für mich war TtDoT tatsächlich das erste Spiel dieser Art. Und – warum auch immer – vor den anderen habe ich einen sehr großen Respekt. Warum kann ich nicht mal genau sagen. Vielleicht, weil das NS-Setting mir jobbedingt vertrauter ist und ich trotzdem eine Distanz wahren kann, die mir bei zeitgenössischeren Settings fehlt.

      All das ist aber, da gebe ich dir völlig recht, sinnvoller und angemessener als ein KZ-Manager (eine kurze Recherche dazu vor ein paar Monaten hat mich auch völlig angeekelt). Und so finde ich auch, dass der Weg in die Schulen, Universitäten geebnet werden müsste. Glücklichweise gibt es immer mehr Historiker*innen, politische Bildner*innen und Lehrer*innen, die sich diesem Thema annehmen. Denn wenn man sie einsetzt, sollten die Spiele auch sinnvoll eingesetzt werden.

      Danke für deinen Kommentar und liebe Grüße
      Michèle

      Tobi
  3. Avatar von Benni

    Hallo,

    zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich den Artikel sehr gelungen finde. Du nennst alle Punkte, die das Spiel auch für mich zu einer besonderen Erfahrung gemacht haben. Mich haben besonders die kleinen Geschichten zwischendurch sehr berührt und ich habe auch noch etwas gelernt (Von der Köpenicker Blutwoche hörte ich dort zum ersten Mal oder die Auswirkung der olympischen Spiele). Wobei ich es leider nicht geschafft habe, den Geschichtsverlauf zu ändern. Dafür habe ich wahrscheinlich zu wenig riskiert, weil ich niemanden aus der Gruppe verlieren wollte. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich diese Möglichkeit des positiven Ausgangs für sinnvoll halten soll.

    Ich finde schon, dass der Nationalsozialismus ein Thema in Videospielen sein kann und auch muss. Die Verantwortung einer gewissenhaften Darstellung kann dieses Medium auf jeden Fall übernehmen, ein Tabu darf es auf keinen Fall sein. Wobei die Kombination von Spielspaß und angemessener Präsentation besonders bei diesem Thema sehr schwer ist.
    Die Frage dabei ist immer, in welcher darstellerischen Form das geschieht. In TTDOT finde ich das sehr gelungen, hier wird nichts verniedlicht oder Kompromisse gemacht. Das ist vielleicht auch Grund dafür, dass es manche Leute nicht spielen können oder wollen.

    Abschließend Danke nochmal für deinen Artikel, den ich sehr gerne gelesen habe

    Michèle MatetschkTobi
    1. Avatar von Michèle Matetschk

      Hallo Benni,
      danke für deinen Kommentar! Es freut mich, dass du meinen Beitrag mochtest.
      ich hab heute tatsächlich den ganzen Tag darüber nachgedacht, ob ich sagen würde, dass ich bei TtDoT Spielspaß hatte – das kann ich nicht mal genau beantworten. Aber ich glaube, das ist eher eine Frage des Wording.

      Zum positiven Ausgang: deine Skepsis verstehe ich. Persönlich finde ich die Möglichkeit gut, weil es einem sehr deutlich vor Augen führt, wie schwer es ist. Weißt du, wie? Also wenn ich weiß, dass man es ändern kann und es versuche und schließlich feststelle, dass ich es nicht konnte halte ich das für eine sinnvolle Sache.

      Liebe Grüße
      Michèle

      Tobi